Neben eingesandten Manuskripten kommen auch immer wieder Buchideen aus dem Verlagsteam zum Zug. Die Grafikerin Saskia Nobir schlug vor rund zwei Jahren das Thema Placebo vor. Nun ist das Buch da.
Nur wenige Themen, die wichtiges Wissen oder interessante Einsichten vermitteln, schaffen den aufwändigen Weg zum Buch. Vor einiger Zeit schlug ich an einer Programmsitzung vor, dem Placeboeffekt ein Buch zu widmen. Das Thema fand sofort bei allen Zuspruch, doch es fehlte das »Zugpferd« (AutorIn oder HerausgeberIn), das hinter dem Projekt stand. Ich habe schon mehrere Vorschläge für Sachbücher gemacht, kein Thema hat mich jedoch so nachhaltig beschäftigt wie Placebo. Letzten Herbst war die Suche nach den passenden Autoren und Experten von Erfolg gekrönt: Wir konnten zwei der führenden Placeboforscher, Prof. Dr. Ulrike Bingel und Prof. Dr. Manfred Schedlowski aus Essen, begeistern, zusammen mit der Wissenschaftsjournalistin Helga Kessler dieses Buch zu realisieren. Was war und ist für mich so faszinierend am Thema Placebo? Die Antwort ist eigentlich einfach: Es ist unser Körper, der mich immer wieder aufs Neue überrascht; der die unglaublichsten Dinge zustande bringt, die wir ihm nicht zutrauen und uns mit unserem heutigen Wissen nur zum Teil erklären können. Und obwohl die Wissenschaft dem »Wie« und »Warum« immer näher kommt, verblüfft mich der Placeboeffekt immer wieder aufs Neue.
Wussten Sie, dass bei Kindern stärkere Placeboeffekte auftreten als bei Erwachsenen? Der Erfolg einer Behandlung hängt auch davon ab, ob die Mutter dabei ist: Trägt die Mutter eine schmerzstillende Creme auf, ist der Effekt größer, als wenn dies der Arzt übernimmt.
So auch in den beiden Beispielen der ARTE-Dokumentation »Der Placebo-Effekt«: Schwer verwundete Soldaten, die aus Mangel an Morphin mit einfacher Kochsalzlösung erfolgreich sediert wurden. – Ein Arzt, der ein Medikament und ein Placebo bestellte: Dieser stellte die Wirkung des Placeboeffekts in Frage und verabreichte dem Patienten abwechselnd die Pillen. Der Patient übernahm unterbewusst beeinflusst durch das Verhalten des Arztes dessen Überzeugung und reagierte entsprechend den Erwartungen des Arztes. Der Clue: der Arzt hatte ohne sein Wissen nur Placebos erhalten!
Wussten Sie, dass es vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für den »Placeboeffekt« gibt? Angsttherapie – Schmerztherapie (z.B. Rückenschmerzen, Migräne) – (Morbus) Parkinson – Depression – Arthrose – Epilepsie – Reizdarmsyndrom – Wirkung: Dosisreduktion der Medikamente bei chronischen Krankheiten wie Schuppenflechte, Hausstauballergie, ADHS, Autoimmunerkrankungen; Dosisreduktion bei Immunsuppressiva; bessere Erholung nach Operationen
Faszinierende Fälle, die die Wissenschaftler vor interessante Fragen stellen: Wie wird der Effekt ausgelöst? Was genau heilt uns? Welche Krankheitssymptome sind besonders effektiv mit einem Placebo zu lindern? Welche Rolle spielt die »Zuckerpille« in klinischen Studien, was unterstützt deren Wirkung? Und: Was ruft den Nocebo hervor, den »bösen Bruder« des Placebo? Was wir heutzutage wissen: Es sind nicht nur die Pillen ohne Wirkstoff, die unsere Krankheiten lindern, es sind vor allem die positiven Erwartungen oder die Konditionierung, die die Selbstheilungskräfte unseres Körpers aktivieren. Deshalb steht für mich »Placebo« nicht für Täuschung. Für mich zählt der Mehrwert des Effekts: Medikamente wirken besser, oder man kann ganz auf »echte Medikamente« verzichten. – Und ich wäre die Erste, die sich mit Placebos behandeln lassen würde und schon lange nicht mehr die Nebenwirkungen auf den Beipackzetteln liest!
Wussten Sie, dass sich Nebenwirkungen (Noceboeffekt) häufiger entwickeln, je mehr sich PatientInnen Sorgen über diese machen und je mehr sie diese erwarten? Wussten Sie, dass sich der Placeboeffekt verstärkt, wenn die PatientInnen die Behandlung spüren, die Tablette ohne Wirkstoff wie Medizin schmeckt oder sie dabei zuschauen, wenn die Kochsalzinfusion gelegt wird?
Für das Buch »Placebo 2.0« war es uns ein Anliegen, nebst den AutorInnen weitere Experten beizuziehen, denn wir wollten uns nicht auf den Placeboeffekt in der Medizin beschränken, sondern auch in andere Lebensbereiche vordringen: Welche Placebos wirken im Sport? Was wissen wir über den Placeboeffekt im Marketing und welche Rolle spielt er in der Pädagogik? Wie greifen Künstler dieses Phänomen auf? Herausgekommen ist ein Werk, das einen umfassenden Überblick zum Potenzial der »Zuckerpille« gibt.
In einer indischen Studie, an der 600 Personen beteiligt waren, lösten die unterschiedlichen Farben Erwartungen über den Geschmack aus: Von rosa Tabletten wurde erwartet, dass sie süßer schmeckten als rote, gelbe galten als salzig, weiße als bitter und orangefarbene sollten sauer schmecken.
Für Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten ist es eine Chance, (neue) Erkenntnisse zur Behandlung von Patienten zu gewinnen, aber auch Sporttrainer, Marketingexperten und Pädagogen können wichtige Hinweise in diesem Band finden. Außerdem kann ich das Buch jedem empfehlen, der unter einer der genannten Krankheiten leidet und offen für neue Therapiewege ist. Nicht zuletzt ist es eine anregende Lektüre für alle, die sich bester Gesundheit erfreuen und sich wie ich mit Neugier den Wundern unseres Körpers nähern möchten.
Bildnachweis: © Kaat Zoetekouw | stocksy.com
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