Zürich Wiedikon an einem trüben Januarnachmittag: In einem verschlafenen Hinterhof steht ein großer blassgelber Quader aus Ziegelsteinen. Die ehemalige Biskuitfabrik ist der heutige Wohn- und Arbeitsraum des Künstlers Thomas Dubs, der nach Aufenthalten in Frankreich, Italien und Amerika nun wieder in seiner Geburtsstadt lebt. In den Gemäuern befindet sich auch das beachtliche Werkarchiv des 80-Jährigen. Gespannt darauf, Kunst und Künstler näher kennenzulernen, findet man eine Notiz mit Lageplanskizze an die Tür geheftet: »Guten Tag, bitte benutzen Sie den Seiteneingang zum Wohnbereich.«
Noch ehe man sich dort bemerkbar machen kann, öffnet ein agiler Mann in unauffälliger Kleidung und Sandalen die Tür. Einzig das längere, graue Haar und der Dreitagebart geben dem Gastgeber eine gewisse künstlerische Note. »Bevor ich Ihnen meine Kunst zeige, brauchen Sie eine Stärkung.« Bei Kaffee und Keksen wird klar, dass es sich um die Behausung, das »Gehäuse«, wie es Dubs bezeichnet, eines Ästheten handelt. Die erdigen Farben der Einrichtung, dominiert durch einen massiven Holztisch in der Mitte des Zimmers, und das spärliche Licht, das durch die halb geschlossenen Fensterläden fällt, vermitteln eine einladende Atmosphäre. Natürlich gibt es auch Kunst; unter anderem steht hier eines von den wohl Hunderten von Modellen, die Thomas Dubs in seinem Leben angefertigt hat. Dieses zeigt das Bühnenbild für ein Theaterstück, dessen Text er selbst verfasst hat.
Der Rat, eine Stärkung einzunehmen, erweist sich im Laufe des Nachmittags als weise. Wir beginnen unseren Rundgang im Keller der Fabrik. Dicht an dicht, penibel geordnet, steht hier ein Kunstobjekt neben dem nächsten. Als Erstes zeigt Thomas Dubs seine beträchtliche Sammlung von skurrilen Holzspielzeugen: mehrere Vitrinen voll von bunten Würmern, die sich durch einen geschickten Mechanismus scheinbar selbst verschlingen, und Elefanten, die Taler speien können. Das Gesicht des Künstlers hat etwas Jungenhaft-Verträumtes, während er mit den Objekten hantiert, die er für seine vier Söhne gebaut hat. Doch nur die wenigsten der Spielzeuge weisen die Spuren von Kinderhänden auf, zu zerbrechlich seien sie. Seinen Buben hat er liebevoll illustrierte Kinderbücher gewidmet, zum Beispiel »Das Ungeheuer und die fünf Männer«, in dem die Familie Dubs wilde Abenteuer erlebt. In und auf Schränken befinden sich unzählige Figuren aus Baumrinde und Alltagsgegenständen wie Bürsten oder Schuhspannern, die Thomas Dubs während seiner Zeit als Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste als Vorlagen für künftige Werklehrer angefertigt hat.
Die Kunst von Thomas Dubs zeugt von bemerkenswerter Geduld und Feinmotorik: Besonders eindrücklich sind die reich verzierten Laternen (aus Büchsenblech angefertigt und versehen mit Fenstern aus Glassplittern), die schon im Zürcher Museum Bellerive zu sehen waren. Auch die filigranen Zuckertorten verzaubern – leider sind sie für die Nachwelt nur noch in Form von Fotografien erhalten. Für das Meisterwerk seiner »konditorischen« Ambitionen verbrachte Dubs sechs Wochen mit Unmengen von Puderzucker in der Küche; sehr zum Leidwesen der Familie, wie er trocken bemerkt. Eine große Fläche nehmen die Modelle für realisierte und nicht realisierte Projekte ein – diese reichen von fantasievollen Kinderspielplätzen über Entwürfe für einen Museumsraum, den die Besucher durch Kaleidoskope betrachten müssen, bis hin zu einer Miniaturausgabe der Werkbank von Dubs (inklusive Hammer und Feile).
In einem Raum mit hoher Decke weiter oben im Gebäude befinden sich alle selbst gebauten Holzinstrumente, darunter verblüffend klingende Trommeln, eine Harfe, zahlreiche Xylophone; das Orchester ist für mindestens 16 Musiker konzipiert. Ein dicker Katalog lässt den Umfang der Gemälde von Thomas Dubs erahnen. Nach langer Pause begann er vor Kurzem wieder mit dem Malen von großformatigen Werken in Öl. Der Rundgang endet in der Schreibklause des Künstlers. Hier befindet sich eine kleine Bibliothek, deren Bücher er oft zur Inspiration für eigene Texte nutzt. In dem Theaterstück, das er tags zuvor vollendet hat, ist Goethes »Faust« ein zentrales Thema.
Nach dieser abenteuerlichen Reise durch das Werk von Thomas Dubs begibt man sich wieder ins Wohnzimmer. Bei Käse und Wein erzählt er, wie er zum Schriftsteller wurde. Wobei, als Schriftsteller könne und wolle er sich nicht bezeichnen; als Künstler, als Maler, als Plastiker, als Instrumentenbauer, ja – und als Schreiber. »Ich möchte einfach meine Fantasien wiedergeben. Ich habe keine literarischen Ambitionen und dadurch eine große Freiheit.« Gemalt hat er schon von klein auf, zum belletristischen Schreiben ist er erst sehr spät gekommen, und zwar über die bildende Kunst. Er wurde oft aufgefordert, seinen Werken einen Begleittext beizulegen. »Eigentlich wollte ich nie schreiben, aber dann hat es mich einfach überrollt.« Ähnlich wie bei der bildenden Kunst hat er ein genaues Bild im Kopf, bevor er mit dem Schreiben beginnt. »Das Gerüst steht am Anfang, und das Schreiben läuft dann atemlos.« In Büchern wie »Der Spurensucher« oder »Schreiber’s Tod« sind es alltägliche Szenen, die der Autor mit nur wenigen Worten so eindrücklich zeichnet, dass sie für den Leser plastisch und real werden. Mit einem verschmitzten Lächeln verrät Dubs sein »größtes Glück«: ein frisch vollendetes Buch selbst ausdrucken, binden, sich in ein Café setzen und so tun, als lese man das Werk eines Fremden.
Nach dem Unterschied zwischen dem Schreiben und den anderen Künsten gefragt, antwortet Thomas Dubs: »Schreiben ist viel ungesünder als bildende Kunst: Es fehlt der physische Aspekt.« Er vergesse sich (und das Essen und Trinken) während des Schreibens. Das Bildhauern aber könne man nur so lange betreiben, wie es Arme und Beine zuließen. Ansonsten bestehe kein großer Unterschied; es sei einfach wichtig, dass man viele Ideen habe, egal ob beim Schreiben oder beim Schnitzen.
Und wenn man eines mitnimmt von diesem Nachmittag, dann, dass es Thomas Dubs nicht an Ideen mangelt. Zwecks Demonstration springt er auf und begibt sich in die Küche: »Ich notiere meine Einfälle gerne auf dem Fußboden.« Er kniet sich auf die dunklen Steinfliesen nieder und beginnt, mit Kreide eine Skizze für ein Bühnenbild zu zeichnen. Nachdem diese in ein Notizbuch übertragen wurde, wird sie einfach mit dem Wischmopp beseitigt.
In »Schreiber’s Tod« sagt eine der Figuren: »Phantasie bringt Ärger!« Was es damit auf sich habe? Als Künstler sei man seiner Kunst, seinem Talent gegenüber verpflichtet. Dafür brauche man vor allem Unabhängigkeit und einen langen Atem; das habe er im Laufe seines Lebens gelernt. Wenn Thomas Dubs an einem Projekt arbeitet, dann muss er sich diesem voll und ganz widmen können und alles andere ausblenden – seien dies neue Ideen, Menschen oder die alltäglichen Pflichten. »Deshalb haben Künstler nicht so ein großes Interesse am Leben: Sie leben durch ihre Kunst.«
Literatur von Thomas Dubs www.stiftungthomasdubs.org
Kunst und Evolution | 184 S. | Hardcover | ISBN 978-3-9523538-1-3
Die schöpferischen Schichten im Menschen | 252 S. | Hardcover | ISBN 978-3-9523538-0-6
Das pädagogische Werk | 318 S. | Hardcover | ISBN 978-3-9523538-8-2
Der Spurensucher | 216 S. | Broschur | ISBN 978-3-9523538-7-5
Jedermann braucht etwas Wüste | 76 S. | Broschur | ISBN 978-3-9523538-6-8
Schreiber’s Tod | 180 S. | Broschur | ISBN 978-3-9523538-5-1
Der gelbe Schein | 72 S. | Broschur | ISBN 978-3-9523538-4-4
Giambattista Piranesi | 96 S. | Broschur | ISBN 978-3-9523538-3-7
The Green Line | 68 S. | Broschur | Engl. Ausgabe | ISBN 978-3-952 3538-2-0
Bildlegende: rechts: Selbstgebaute Holzinstumente. © Laila Defelice
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