Ob Allmende, Genossame, Korporation oder Genossenschaft: Alle Namen bezeichnen eine Körperschaft, die Solidarität und Selbstverantwortung als ideelle und in die Praxis umgesetzte Basis ihres Handelns versteht. Sie sind seit Jahrhunderten ein gemeinschaftliches »Verwaltungsmodell«, das seit etwa zwei Jahrzehnten neuen Auftrieb bekommt.
Wertewandel in Richtung Gemeinwesen
Als die amerikanische Professorin Elinor Ostrom 2009 als erste und bisher einzige Frau mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftwissenschaften (»Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften«) für ihre Forschungen zu »Commons« ausgezeichnet wurde, sind diese auch in der Wissenschaft zu einem großen Thema geworden. Ostrom sieht sie vor allem bei knappen Ressourcen als ideale Form der Kooperation. Sie erachtet Allmenden staatlichen Stellen oder Privatfirmen meist als überlegen. Diese Idee wird nun wieder neu belebt, auf weitere Inhalte und Handlungsfelder als Land und Vieh ausgedehnt und beweist ihre hohe Effizienz zur Steigerung des Gemeinwohls. Ausgangspunkt und Ziel dieser einfach strukturierten Organisationen ist das Gemeinsame, Verbindende, das Wir.
In der heutigen Sicht bestimmen Staat und Wirtschaft unser Leben, mit dem Ziel, Wirtschaftswachstum zu fördern, sodass alle – ob sie wollen oder nicht – in das globale Finanzsystem eingebunden sind. Genossenschaften bauen auf Zusammenhalt und Selbstorganisation der Zivilgesellschaft, die in politischen und wirtschaftlichen Diskussionen als sozial bestimmende Kraft häufig »vergessen« wird. Obwohl Selbstorganisation seit dem Altertum bis heute philosophisch immer wieder thematisiert und in verschiedensten Wissenschaftszweigen untersucht wurde, werden Staat und Markt nach wie vor mehrheitlich materialistisch-mechanistisch definiert – ganz entsprechend dem Weltbild des 18. bis anfangs des 20. Jahrhunderts. Die Naturwissenschaften (Physik, Biologie, Chemie, Ökonomie) haben seit den 1950er-Jahren nachgewiesen, dass die Selbstorganisation von Systemen die effizienteste ist. Das gilt auch für die menschliche Arbeit: flache Hierarchien, selbstbestimmtes Leben und Arbeiten.
Mechanistisch und damit topdown oder selbst organisierend bottom-up: Die beiden grundsätzlich verschiedenen Haltungen und Handlungsweisen sind schwer vereinbar und für alle eine enorme Herausforderung, weil das Ideenfundament ein anderes ist. Das spüren auch Commons mit rechtlichen Vorgaben, die top-down durchgesetzt werden sollen.
Genossenschaften sind auch in der Schweiz viel älter als im heutigen Verständnis staatliche Organisationen – häufig auch älter als die Eidgenossenschaft, deren Basis sie bildeten. Und sie sind nach Hunderten von Jahren immer noch aktiv und erfolgreich. Weil Commons und Genossenschaften nun wieder breiter ins Bewusstsein geraten, macht das Mut, diese bewährte Körperschaft zu neuem Leben zu erwecken – Schweizer Großunternehmen haben das längst erkannt und umgesetzt.
Älter als heutige staatliche Strukturen
Gerade in der Schweiz sind seit dem Hochmittelalter viele Allmenden entstanden. So ist z.B. die heute noch aktive Oberallmendkorporation Schwyz die flächenmäßig größte Korporation der Schweiz, der Landbesitz ist praktisch identisch mit dem »Alten Land Schwyz« (heute Bezirk Schwyz). Bereits 1114 wird die Oberallmend urkundlich erwähnt: In einem Streit mit dem Kloster Einsiedeln wird im Dokument festgehalten, dass die Schwyzer als Kollektiv Anspruch auf den gemeinschaftlich genutzten Boden erhoben (nach AOK/Geschichte: www. aok-schwyz.ch).
Die Regelung für die gemeinsame Nutzung von Wiesen, Wald, Wasser, Vieh und Immobilien ist für die Korporationen bis heute wichtigstes Anliegen. Da die meisten Korporationen viel Landfläche besitzen, sind sie häufig die größten Landbesitzer in Gemeinden. Das bedingt Achtung und Rücksicht auf das Gemeinwohl und verbietet im Grunde die heute weit verbreitete »Gewinnmaximierung«.
Der Zeitgeist ruft nach Selbstverwaltung
Eine wachsende Zahl von Menschen hat in den heutigen Zeiten des Umbruchs wirtschaftlicher und politischer Strukturen mit Finanzkrisen, Klimawandel und Unsicherheiten auf den verschiedensten Ebenen (hohe Jugendarbeitslosigkeit, Altersvorsorge, Migrationsauswirkungen usw.) das Vertrauen in langfristig einigermaßen gesicherte Lösungen durch nationale oder supranationale Gremien verloren. Diese Menschen wünschen sich überblickbare, durch sie mit beeinflussbare Strukturen und Organisationen, die von nahen, ihnen bekannten und »greifbaren« Personen geleitet werden. Auch in unserer eidgenössischen direkten Demokratie wissen wir kaum, worüber wir genau abstimmen, weil alle Vorlagen äußerst komplex und letztlich in den Folgen nicht absehbar sind.
Lokale und regionale Strukturen aus eigenem Impuls und mit Unterstützung ähnlich Gesinnter aufzubauen braucht Mut, rechtliches Know-how und vor allem Ausdauer. In den letzten Jahren sind aus dem Willen zur eigenen Gestaltung von Lebensraum und Zukunft Tausende von Projekten ins Leben gerufen worden, die Lebensqualität unabhängig von Finanzen eigenverantwortlich und gemeinsam diskutieren und umsetzen. Transition Towns, Lokalwährungen, Vereine für die Betreuung älterer und kranker Menschen, Genossenschaften für Landbau, Nutzung von Maschinenparks, Wasser usw. Für Initianten und Mitgestalter dieser Gemeinwesen ist es ein sich ständig erneuernder Prozess, nichts ist fix für immer, zum Wohle aller kann laufend geändert und ergänzt werden. Diese dynamische Gestaltung sozialer und ökonomischer Strukturen stärkt den Kitt unter den Menschen, macht unabhängiger von finanziellen Rahmenbedingungen und wird häufiger als tragfähiger empfunden als eine »klassische« Versicherung.
»KISS-Nachbarschaftshilfe Jung und Alt«. Für die Umsetzung von KISS (Keep it small and simple) werden lokale und regionale Genossenschaften gegründet, die die gemeinsame Organisation von Zeit für die Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen übernehmen und so auch eine Art Schicksalsgemeinschaft bilden. Zeit ist genau so wie Land und Wald eine bedeutende Ressource, die es nachhaltig zu nutzen gilt.
Eine Vielfalt kollektiver Eigentumsformen muss nicht notwendigerweise weniger Staat bedeuten; aber der heutige (Rechts-)Staat ist gefordert, diese Eigentumsformen wahrzunehmen und Projekte von Netzwerken zu ermöglichen. Bei solchen Körperschaften handelt es sich meist um Mischformen von wirtschaftlichen und staatlichen Grundlagen. Häufig werden monopolisierte Unternehmensstrukturen geschützt (z.B. Landwirtschaft, Gesundheitswesen) und dadurch – bewusst oder unbewusst – lokale oder regionale, solidarisch geprägte Alternativen verhindert oder erdrückt.
Lebendiges Beispiel: Korporation Unterägeri
Die historischen Wurzeln der Korporation Unterägeri reichen in den Beginn des 15. Jahrhunderts zurück. Sie organisierte die Arbeitsteilung unter den bäuerlichen Bewohnern, parzellierte je nach Qualität in drei Zügen Flächen, um die gemeinsame Bewirtschaftung von meist kleinen Flächen sicherzustellen. Bürger aus den neun Korporationsfamilien bekommen Land zum Bewirtschaften.
Mit der Nutzung im Kollektiv sind Aufwände verbunden, aber der entscheidende Vorteil ist die Verteilung von Lasten und Verlusten, die über Jahre gemeinsam einfacher tragbar sind.
Weltweit hat die Korporation Unterägeri 3500 Mitglieder, im Kanton Zug 1800, von den 8500 Gemeindeeinwohnern sind 900 Korporationsbürger. Grundeigentümerin von allem Land, Wald und Wasser ist die Genossenschaft, die damit 2/3 des Unterägerer Gemeindelandes besitzt.
Die Korporationsgemeinde hat jeweils mehr Geschäfte zu bestimmen als die Einwohnergemeinde und sie hat auch doppelt so viele Besucher. Darum braucht es viel Feingefühl im Umgang mit Gemeinde und Kanton. Das zeigt die Korporation auch, indem sie für die Allgemeinheit das Naherholungsgebiet pflegt, Kindergarten, Skilift, Vitaparcours, Fußballplätze, Werkhof und Gewerbebauten zu sehr günstigen Konditionen zur Verfügung stellt.
Eine Ausstellung zeigte die Entwicklung der Korporation von den Anfängen bis heute. Dokumente und Unterlagen sind auf Wunsch im Archiv der Korporation einsehbar. Eine einmalige Chance, weit in die Vergangenheit von »Wil«, wie Unterägeri 1407 in jenem Dokument genannt wurde, das erstmals eine Unterägerer Allmend erwähnt, zurückzublicken. Einige der erwähnten Objekte waren zum ersten Mal im Ägerital zu sehen und mit Händen zu »begreifen«.
Was sind »Commons« oder Allmenden?
Als Allmenden werden Land- und Waldflächen bezeichnet, die einer vertraglich geregelten kollektiven Nutzung durch Mensch und Vieh unterstehen. Allmend, Genossame, Genossenschaft oder Korporation ist aber auch die besondere Rechtsform für die Verwaltung gemeinsamer Güter und deren Nutzung. Diese Körperschaften schaffen ihre eigenen Regeln zur nachhaltigen Nutzung ihrer Ressourcen zum Wohl aller Nutzungsberechtigten.
Bildlegende: links: Großfamilie beim Heuen im Guggenhürli ca. 1920. © Archiv Korporation Unterägeri; rechts: »Prägend seit Jahrhunderten – die Korporation Unterägeri«: Ausschnitt aus der Ausstellung im Pfarreiheim Sonnenhof von 2015/16. © Alexandra Wey
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