Eigentlich wollte Conrad Steinmann Archäologe werden, bis er als 16-Jähriger Hans-Martin Linde, seinen ersten Blockflöten-Lehrer, traf. Damit nahm Steinmanns außergewöhnliche Laufbahn als international renommierter Blockflötist ihren Anfang und bescherte ihm über viele Jahre einmalige Erinnerungen und Begegnungen mit Musikern, Komponisten und Instrumentenbauern. Sein im Herbst erscheinendes Buch »Drei Flöten für Peter Bichsel – Vom Zauber der Blockflöte« gibt einen Einblick in diese Begegnungen und sein grundiertes Wissen über das älteste Instrument. Ein Ausschnitt der gleichnamigen Geschichte ist ein erster Vorgeschmack auf dieses.
»Man kann nicht behaupten, dass wir einen durchkomponierten Plan für unseren ersten Auftritt gehabt hätten, der von den Veranstaltern ohnehin nicht gemeinsam vorgesehen war, hatten sie uns doch für je eine Hälfte des Abends engagiert. Wir hatten uns eben erst auf der Fahrt von Basel nach Essen ein wenig kennengelernt, was uns wichtiger schien als groß über den Ablauf des Abends zu sprechen. Beim Erreichen des Konzertortes gab es ein unausgesprochenes Einverständnis und ein Vertrauen, dass es schon richtig kommen würde. Er hatte Texte dabei, ältere und neueste, erst auf der Druckfahne, mitgebracht. Ich meinerseits war ausgerüstet mit vielen eigenen und fremden Musikstücken, die sich allenfalls leicht in Improvisationen ausweiten ließen, dazu mit zahlreichen Blockflöten – barocken, traditionellen und experimentellen. Es schien mir das Beste, auf Peter Bichsels Sprache, auf seine Aussprache, auf sein Tempo und auf seine Pausen zu reagieren, meinerseits mit Pausen und Wiederholungen und Einschüben zu antworten.
Nur auf etwas verständigten wir uns, auf die Zugabe, falls eine solche überhaupt gewünscht werden sollte: eine gemeinsame, improvisierte Version von ›Am Morgen lag Schnee‹, der letzten Geschichte aus seinem ersten Buch ›Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen‹ aus dem Jahr 1964. In Gedanken legte ich mich bereits im Voraus auf ein Instrument fest, das mir am meisten Möglichkeiten zu bieten schien, eine experimentelle, zylindrische Flöte, auf der die Grifflöcher in gleichen Abständen angebracht sind. […] Wenn ich mich daran erinnere, scheint es mir, dass wir es eilig hatten, unsere Zugabe anzubringen. Wir wollten unbedingt zeigen, was wir konnten, wenn wir richtig übten (auch wenn unsere diesbezügliche Vorbereitung nur fünf Minuten dauerte). Angetan vom Resultat, beschlossen wir auf der Rückfahrt, bei allen kommenden gemeinsamen Auftritten, falls es je dazu kommen sollte, nicht auf diese Zugabe zu verzichten.
Es kam zu weiteren Auftritten. Ich machte mich daran, unsere Zugabe zu einer dreiteiligen Lesung desselben Textes zu erweitern, indem Peter Bichsel in seiner typisch näselnden und nuschelnden, aber sehr druckvollen Art zuerst die kurze Geschichte vortragen sollte, worauf eine fünffache ›Lektüre‹ mit der Untertonflöte die Textdeklamation bis zum eigentlichen Gesang hochschrauben und verdichten würde. Den Abschluss und die Verschränkung unserer beiden Stimmen sollte ein gemeinsames Duett mit einer menschlichen Stimme bilden, die zu singen, und einer Flöte, die zu sprechen beginnt.
Beglückend ist diese Zugabe jeweils, sie ist zu reiner Musik geworden, die irgendwie losgelöst schien von jeglicher Bedeutung des Textes. Und so, wer hätte das schon gedacht, ist Frau Blum jedes Mal zur Sängerin geworden. ›Das muss nun einmal gesagt sein‹, wie es ganz am Ende des kleinen Büchleins von Peter Bichsel handschriftlich in meinem Exemplar ergänzt heißt.«
Bildlegende: Conrad Steinmann (links), Peter Bichsel (rechts). © Landbote / Andreas Wolfensberger
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