Ein paar Fragen an die Dichterin Sophie Thomas
Vivian Tresch: Etwas Leichtes zu Beginn: Was ist ein Gedicht?
Sophie Thomas: (lacht) Ich würde sagen, ein konzentrierter Ausdruck von einem Gefühl.
VT: Was fasziniert dich daran?
ST: Ich mag an Gedichten, dass sie meist nicht so lang sind und sich beschränken müssen. Deswegen existiert auch eine ganz andere Sprachform, die freier ist als Prosa. Sie kann unkonventioneller sein. Ich habe auch Gedichte geschrieben, in denen ich Silben trenne, wo man sie nicht trennen dürfte, und das macht ganz viel aus, weil man es dann anders liest. Dadurch kommt auch eine bildliche Ebene hinzu. Ich glaube, dass ich sehr bildlich schreibe.
VT: Sollten Gedichte also mehr gelesen als aufgesagt werden?
ST: Beides hat seinen Reiz! Nur verloren gehen darf die Lyrik nicht. Die Lyrik ist ja heute in den Köpfen nicht mehr so präsent. Viele haben, wenn sie an Lyrik denken, gleich Goethe im Sinn oder so ein starres Reimschema und vergessen, dass es auch moderne Lyrik gibt, die gerade im Bruch zu diesen alten Strukturen und Schemata interessant ist.
VT: Wenn wir schon bei Goethe sind: Wie hast du’s mit der Sprache? Genügt sie dir?
ST: Ich weiß nicht, ob sie mir genügt, aber ich glaube, es genügt mir für den Moment, mich mit ihr auseinanderzusetzen und ihre Grenzen auszuloten.
VT: Wie ist es, wenn du ein Gedicht aus der Hand gibst und andere es lesen und interpretieren?
ST: Ich finde das schön, aber das hat mit mir persönlich nicht mehr so viel zu tun. Persönlich sind die Gedichte aber trotzdem. Auch persönlicher als Prosa, weil man da meistens Figuren hat und dadurch etwas Distanz gewinnt.
VT: Gibt es Themen, denen du dich in deinen Gedichten immer wieder annäherst? Welche sind das?
ST: Was immer wieder vorkommt, sind Distanzen, die wir zueinander und auch zu uns selbst haben. Fragen wie: Kann man sich von sich selber loslösen? Oder wie nahe kann man an andere Menschen herankommen? Das beschäftigt mich in meinen Gedichten immer wieder von Neuem.
VT: Ist das Schreiben an sich schon eine Distanzierung, eine Abstraktion von Gefühltem?
ST: Ja, und hinzu kommt, dass ich nicht in meiner Muttersprache Berndeutsch, sondern auf Hochdeutsch schreibe. Für mich macht das einen großen Unterschied. Ich habe eine Zeit lang auf Berndeutsch geschrieben, aber da hat mir dann die nötige Distanz gefehlt. Es war mir zu plump. Darum schreibe ich lieber auf Hochdeutsch, obwohl es eine Art Fremdsprache ist. In meinem Dialekt rede ich einfach und denke gar nicht darüber nach. So aber überlege ich mir viel bewusster, welche Worte ich benutze. Ich glaube, dadurch gehe ich auf eine Suche und somit auch ein Stück von mir weg. Aber wenn ich das passende Wort dann finde, komme ich auch wieder näher zu mir hin.
Bildlegende: Sophie Thomas bei einer Lesung im »Material« in Zürich, Mai 2019. © Denkbilder
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