Nach der Pensionierung gilt es für jeden, das sprichwörtliche Loch, in das man fällt, zu füllen, bevor man hierin vor lauter Langeweile und Depression erstickt. Der engagierte Dermatologe und ehemalige Klinikdirektor Prof. Günter Burg berichtet, wie er in Nepal die Telemedizin voranbrachte.
Bei mir persönlich bahnte sich der letzte Lebensphasenwechsel 1999 nach einer Einladung zu einem Internationalen Südostasiatischen Kongress in Kathmandu an. Es entstand eine dauerhafte Freundschaft mit einem engagierten Team von Medizinkollegen in Nepal, die die Grundlage zum Aufbau eines Hilfsprojektes war.
Nepal ist ein für Touristen faszinierendes, aber krisengebeuteltes Land mit fast 30 Millionen Einwohnern, von denen ca. 80 % relativ isoliert in kleinen schlecht zugänglichen und rückständigen Land- oder Berggemeinden mit einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 2 Dollar pro Tag lebt. Die Krisensituation ist in diesem Land – wie auch in vielen anderen sogenannten »developing countries« – chronisch und der Kampf ums Überleben ist Alltag. Entwicklungshilfen von außen sind willkommen. Man muss aber die Frage stellen, wie sinnvoll und wie nachhaltig sie sind. In vielen Fällen kompensieren sie die Unfähigkeit von Regierungen, ihrem Volk Wohlstand und soziale Sicherheit zu bieten. Stattdessen schaffen sie den Boden für Korruption, die irgendwann zum überlebenswichtigen, systemimmanenten Kavaliersdelikt wird. Trotzdem muss man die vielen medizinischen, bildungstechnischen, sozialen und wirtschaftlichen Hilfsprojekte, die in Nepal zum Einsatz kommen, insgesamt positiv bewerten.
So wurde aus einer beruflich begonnenen und freundschaftlich fortgeführten Verbindung eine vertrauensvolle Beziehung, auf der eine »Strategische Partnerschaft für Nepal« (STRAPAL, www.strapal.org) mit unterschiedlichen Aktivitäten aufgebaut werden konnte.
Dem kleinen Team gehören Mediziner, Informatiker, ein Fernmeldetechniker und weitere Partner an. Wenn auch nicht alle Ziele erreicht wurden, kann man nach 20 Jahren mit einer gewissen Genugtuung auf das Erreichte zurückblicken.
Drei Dörfer mit ihrer Umgebung wurden unter dem vielversprechenden Projekt »Wireless Nepal« über zwischengeschaltete solarbetriebene Relaisstationen mit dem Internet verbunden und mit Hardware und Software ausgestattet. Die Bewohner werden jetzt in regelmäßigen wöchentlichen Live-Videokonferenzen telemedizinisch versorgt. Kleine Teams von Pflegehelfern wurden für Coaching-Kurse aus den Dörfern in eine Klinik in Kathmandu gebracht, um dort während einer Woche Basiswissen in Krankenpflege und im Umgang mit der Hard- und Software für die telemedizinische Betreuung zu erhalten. 2–3 Mal pro Jahr werden vor Ort medizinische Camps von unseren nepalesischen Partnern ausgerichtet.
Lehrer und Schüler in den Dörfern erhalten Fernunterricht im Umgang mit moderner Informationstechnologie und lernen, die wichtigsten Programme anzuwenden. Einige der so ausgebildeten Dorfbewohner haben daraufhin selbst kleine örtliche Computerschulen (»Internet-Cafés«) eröffnet und leisten Computersupport für andere Dorfbewohner. Besonders geschätzt wird die Kommunikation mit Angehörigen, die als Fremdarbeiter im Ausland tätig sind.
Die Einrichtung von Nähstuben, in denen landestypische Hüte für Männer, Schals und andere einfache Mode-Accessoires hergestellt und im lokalen Umfeld verkauft werden, war ein großer Erfolg. Mit tatkräftiger Beteiligung der Dorfbewohner konnte zudem ein durch das Erdbeben 2015 völlig zerstörtes Gemeindehaus wiederaufgebaut werden.
Am Kathmandu Medical College Teaching Hospital wurde ein separater Server für Studierende der Medizin mit einer Lernplattform für Dermatologie (www.cyberderm.net) installiert und der Betrieb finanziell unterstützt. Nach Schulung von Ärzten vor Ort und einem mehrmonatigen Fellowship in Zürich wurde eine dermatopathologische Fachgesellschaft etabliert, sodass Gewebeproben entzündlicher, infektiöser oder tumoröser Erkrankungen der Haut nicht mehr ins Ausland geschickt werden müssen, sondern in einem entsprechend ausgestatteten Labor im Land untersucht werden können. Die Gründung eines International Committee of E-Health and Tele-Health (ICEHAT; http://icehatdisharc.org) für den südostasiatischer Raum gemeinsam mit den Nepalesischen Partnern markiert einen weiteren Schritt zur Modernisierung und Öffnung des Landes.
Viele dieser Maßnahmen führen zu einer Befreiung aus der Isolation und dem Analphabetismus, in der sich besonders die Bewohner abgelegener Kommunen befinden. Voraussetzung für den Erfolg der Entwicklungshilfe war und ist eine verlässliche Partnerorganisation in Nepal (DISHARC/CHEST, www.disharc.org) und ein Team engagierter Projektteilnehmer auf Schweizer Seite. Es gibt jedoch auch unerwartete »interne« Schwierigkeiten, die in einer Akzeptanzverweigerung vor allem bei älteren Gemeindemitgliedern liegt, die den Standpunkt vertreten, dass sie 60 Jahre und mehr ohne Lesen und Schreiben und ohne den »schamanenartigen digitalen Firlefanz« – so ihre Einschätzung – ausgekommen sind und zufrieden gelebt haben.
Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass bei aller Entwicklungshilfe die kulturelle Ursprünglichkeit eines so faszinierenden Landes wie Nepal nicht auf der Strecke bleibt. Aus diesem Grunde müssen Änderungen – soweit sie für eine positive Entwicklung erforderlich sind – behutsam von innen und ohne erhobenen Zeigefinger angestoßen und verfolgt werden, sonst sind sie zum Scheitern verurteilt.
Mehr zum Buch »Die Haut in der wir leben«
Mehr zum Buch »Rundum Haut«
Mehr zum Buch »In primo loco«
Bildlegende: links: Teleeducation im nepalesischen Dorf Gerkuthar (Trishuli) | rechts: Audienz beim (ehem.) Präsidenten Dr. Yadav (Mitte), links von ihm Günter Burg mit seiner Gattin. © Günter Burg
rüffer & rub Sachbuchverlag GmbH | Alderstrasse 21 | CH-8008 Zürich | +41 (0)44 381 77 30 |