Als Christa Monkhouse holte sie die Eden-Initiative nach Europa, als Christine Merzeder schreibt sie einen Bestseller. In diesem Buch wird zum ersten Mal aus der Sicht Betroffener erzählt, was geschieht, wenn man in die Fänge eines Narzissten gerät. Und dazwischen promovierte sie als Gerontologin.
Kurz nach unserem ersten Kontakt war klar, dass Christine Merzeder mit der Eden-Initiative neuen Wind in die Strukturen von Alters- und Pflegeheimen brachte. Daraus entstand bei rüffer & rub im Herbst 2003 das Buch »Übermorgen – wenn wir alt sind«. Das Eden-Konzept basiert darauf, mit Betagten zusammen die Pflege und Betreuung zu bestimmen und eine lebenswerte Umgebung zu gestalten. Seither hat sich diese Idee europaweit verbreitet, es gibt Eden-Koordinatoren in Holland, Schweden, Dänemark, England, in den Niederlanden, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nicht zuletzt dank der vielen Schulungen, Vorträge und Konferenzen, die Christa Monkhouse in 15 Jahren zusammen mit den verschiedenen Teams organisierte.
Danach war es an der Zeit weiterzuziehen, denn: »Ich bin vom Temperament her eine Innovatorin. Irgendwann waren die Leute ausgebildet, haben ihren Job gut gemacht. Da konnte ich es mit gutem Gewissen an andere Leute übergeben. Zudem hatte ich nach 15 Jahren das Gefühl, dass ich wieder einmal etwas Neues brauche.«
Das »Neue« bestand aus zwei Sachen: »Ich habe meine Doktorarbeit in Gerontologie beendet. Darin geht es darum, wie Pflegepersonal im Pflegeheim architektonisch Raum zum Pflegen zur Verfügung hat.« Und Christa Monkhouse schreibt ein neues Buch – allerdings nun unter dem Namen Christine Merzeder. Ein Pseudonym? »Merzeder ist mein Mädchenname, und im Pass heiße ich Christine. Der Namenswechsel war wie ein symbolischer Neuanfang«, so die Autorin. Und der war dringend nötig geworden. »Ich habe 1999 ein zweites Mal geheiratet und dachte, alles ist wunderbar. Im Laufe der Jahre bin ich darauf gekommen, dass mein Mann ein total pathologischer Narzisst ist. Wir haben zusammen ein Geschäft aufgebaut, und als dieses finanziell erfolgreich war, ist der Narzissmus voll ausgebrochen, mit allem: Pornografie, Prostitution, Geld und Steuern hinterziehen. Mein ganzes Leben lag innerhalb von zwei Monaten in Trümmern.«
Trotz des Schocks fand Christine Merzeder schnell heraus, was ablief. Die Verhaltensweisen ihres Mannes, die sie sich nicht erklären konnte, googelte sie, er war trockener Alkoholiker, also googelte sie »dry drunk«. Dann tauchte plötzlich der Begriff Narzissmus und die Website von Melanie Tonia Evans auf. Die Australierin hatte erstmals zusammengetragen, wie Narzissmus Menschen verletzt, und ein Programm entwickelt, wie man sich aus dieser – nicht selten tödlich verlaufenden Abhängigkeit – befreien konnte. Und Christine Merzeder erkannte: »Das bin ich, das bin ich und das bin ich. Als ich herausfand, dass es diese Person, mit der ich meinte zu leben, gar nie gab, das war einschneidend. Ich habe gemerkt, dass seelische Schmerzen genauso wehtun wie körperliche Schmerzen.«
Begegnet man Christine Mer-zeder und erlebt ihre Energie, ihr großes Wissen, ihre weitreichenden Erfahrungen, gerade im therapeutischen Bereich, ist es kaum vorstellbar, dass sie auf einen Narzissten hereinfiel. Doch sie relativiert: »Wenn man nichts über das Phänomen Narzissmus weiß, ist es sehr schwer zu erkennen, weil Narzissten so ein Jekyll-und-Hyde-Verhalten haben. Er war immer ein großspuriger Typ, doch erst gegen Schluss, als er mich nicht mehr brauchte, weil wir finanziell erfolgreich waren, kam sein wahres Wesen hervor. Plötzlich hat er alles schlecht gemacht, hat das, was er vorher heimlich tat, öffentlich gemacht.«
Nachdem sie sich der eigenen Geschichte gestellt hatte und wieder auf die Beine kam – was etwa ein Jahr gedauert hat –, entschied sie auf Anraten ihres Bruders, über diese Erfahrung ein Buch zu schreiben. Denn: Treffen kann es jede/n, so das Fazit, und ohne Hilfe gehen viele Betroffene zugrunde. Selbst die Powerfrau Merzeder quälte sich mit Suizid-Gedanken.
Dass dieses Buch gerade richtig kam, beweisen die vielen Zuschriften. »Es gibt so viel wissenschaftliche Literatur über Narzissmus: ob man die Leute therapieren kann, woher das Phänomen kommt, was ihre Eigenschaften sind. Aber es gibt kaum ein Buch aus der Betroffenen-Perspektive. Ich sage nicht gern Opfer, weil das so passiv klingt. Als Betroffene musst du aktiv werden, das macht niemand für dich. In den Kommentaren und Rezensionen schreiben die Leute, dass ihnen das Buch die Augen geöffnet habe – endlich wissen sie, mit was sie es zu tun haben. Viele Therapeuten und Mediatoren wollen eine faire Trennung erreichen, was mit einem Narzissten absolut unmöglich ist, denn er will, er muss gewinnen und dominieren. Deshalb ist es enorm wichtig, dass jene Leute dieses Phänomen viel besser kennenlernen, ja dass es Standardwissen wird.«
Nach dem großen Erfolg tauchten schnell Fragen auf, wie man sich aus dieser Abhängigkeit lösen könne, und Christine Merzeder setzte sich nochmals mit ihrer Koautorin zusammen, denn: »Ich hatte viele Rückmeldungen von Frauen, die es Ehetherapeuten weitergegeben haben und sagten, ihr müsst zuerst diese Seiten lesen, dann können wir weiterdiskutieren.«
Das neue Buch beschäftigt sich mit den wichtigsten Themen, die an die Autorin herangetragen wurden: »Sorgerechtsproblematik, wenn Kinder involviert sind, Verhalten am Arbeitsplatz etc. Es gibt übrigens auch Narzisstinnen. Männer leiden auch darunter, manchmal sogar mehr als die Frauen, sie sind genauso ausnutzbar. Männer halten lange durch wegen der Männerbilder, z.B. als Alleinverdiener, als ›starker Mann‹, mit denen sie aufgewachsen sind. Sie glauben, eine sexy und interessante Partnerin gefunden zu haben – und dann ist diese eine Narzisstin, und das Leben wird ganz anders.« Und was packt die 64-jährige Dr. phil. als Nächstes an? »Also ich möchte eine gute Oma für meine zwei Enkel sein. Zudem habe ich einen neuen Partner, wir haben im letzten Dezember geheiratet. Meine Doktorarbeit stelle ich demnächst an einer Gender- und Ethik-Konferenz in Irland vor. Und ich kann mir durchaus vorstellen, noch etwas beruflich zu tun.«
Was das Berufliche sein könnte, da ist sie offen, allerdings gibt es ein Feld, das sie sehr interessiert. Die Thematik Pflege und Bedürfnisse von alten Menschen lässt sie nicht los, und so schwebt Christine Merzeder ein großer internationaler Architektenkongress vor, an dem internationale Architekten auf die Bedürfnisse von Pflegepersonal und Heimbewohner aufmerksam werden. Was sie daran reizt? »Dass man eine total männliche Welt mit einer total weiblichen zusammenbringen würde.«
Man darf gespannt sein.
Christine Merzeder | Wie schleichendes Gift. Narzisstischen Missbrauch in Beziehungen überleben und heilen | ISBN 978-3-95803-022-0
Christine Merzeder | Gegengift. Narzisstischen Missbrauch überwinden | ISBN 978-3-95803-156-2
Bildnachweis: © Christine Merzeder, privat
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