Sophie Thomas*
Freiheit oder so ähnlich
Es gelingt nicht
Mein inneres Befinden
In Worte zu reduzieren
Sie sind zu abstrakt
Entfremdet
Zu unpräzise
Das Wort
Das für mich passend wäre
Existiert nicht
Inexistent
Wie absurd
In einem Zustand zu sein
Den es wortwörtlich nicht gibt
Musterlos
Vielleicht
Bringt der zeitliche Wandel
Neue Gefühle mit sich
Welche noch zu definieren sind
Und bis dahin
Schweben wir in einer Wolke
Undefinierter Existenz
Wer kennt das nicht: den Wunsch, sein Leben zu gestalten und sich aussagekräftig und wirksam einzubringen? Und plötzlich folgt die Ernüchterung: Was mich bewegt, was ich gerade bin und hoffe, übersteigt meine sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Ich kann mich nicht verständlich machen, ohne dabei Gefahr zu laufen, ungenau zu sein und mir und anderen nicht gerecht zu werden.
Es geht dabei oft um die großen Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu des menschlichen Lebens. Sie stehen am Ursprung der Philosophie und beschäftigen uns alle früher oder später ... Auf der Suche nach der eigenen Identität, in der Konfrontation mit Unerwartetem, Schönem oder Traurigem versuchen wir das Leben und dessen Vergänglichkeit sprachlich und denkerisch immer wieder neu zu durchdringen – und stoßen dabei an Grenzen.
Sehnsucht nach Freiheit
Auch Gedichte können diese Fragen nicht ein für alle Mal lösen, leisten aber einen vielversprechenden Beitrag. Im Rückgriff auf Symbole und Metaphern und im Spiel mit rhythmischen und klanglichen Gestaltungsmitteln helfen sie, den Geheimnissen des Lebens näher zu kommen. So auch das Gedicht »Freiheit oder so ähnlich« der jungen Berner Dichterin Sophie Thomas:
Drei mal drei Verse drücken zunächst aus, dass Worte letztlich zu klein sind, um ein großes Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Die Sprache zerfällt und zerreißt durch schrill wirkende »i«-Laute und Konsonantenhäufungen aus »z«, »x« »str«, »fr«, »pr« ... Sie beginnt, um sich selbst zu kreisen, und mündet in das vernichtende Satzfragment: »Inexistent«. In einem Wirbel der Absurdität läuft die Erfahrung immer beklemmender auf einen »Zustand« hinaus, für den Worte prinzipiell ausbleiben. So unsäglich, unvergleichlich, »musterlos« ist er.
Leicht und zaghaft meldet sich dagegen das Wort »Vielleicht«. Neue, weichere Klänge werden hörbar, die eine Veränderung andeuten und die Hoffnung keimen lassen, dass sich die Gefühle klären. In den Schlussstrophen wird die Zeit »bis dahin« beschrieben: als ein Moratorium der Sehnsucht, in dem Sprache etwas Schwebendes erhält, weder »wortwörtlich« gelingt noch ganz verstummt. Mit der »Wolke« gelingt eine Metapher, die weiterträgt und kreativ den Wandel in der Zeit ausdrückt. Das Ich versinkt nicht mehr im Abgrund der »Inexistenz«, sondern bezieht sich nun positiv auf eine Form der »Existenz«, die zwar »undefiniert«, aber zukunftsoffen ist. Und: Das Ich ist nicht mehr allein, sondern spricht unverhofft von einem Wir. Ob »in einer Wolke« – und nicht »über den Wolken« – die Sehnsucht nach Freiheit gestillt ist? Ist Freiheit immer nur »so ähnlich« erreicht, nie aber ganz?
Dichter dran am Unsagbaren
Unsagbarkeit und Zweifel an der Sprache sind zentrale Problemkreise der modernen Dichtung, aber auch der Theologie. Die Sprachmuster des Glaubens und der Poesie zeigen Wege auf, dem Unfassbaren nicht auszuweichen, sondern sich immer wieder neu daran heranzutasten.
Sie beruhen auf Analogien: Im Bereich der Erfahrungswelt werden Ähnlichkeiten mit dem letztlich Unsagbaren gesucht, die sich sprachlich in Vergleichen, Gleichnissen und Metaphern niederschlagen. Solche Ähnlichkeitszusammenhänge zwischen Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf wurden zwar zuweilen verdächtigt, den kreativen Menschen selbst zum Gott zu erheben. Der protestantische Theologe Eberhard Jüngel präzisiert jedoch: Analogiebildungen missachten nicht etwa die menschliche Distanz zum Göttlichen, sondern sind eine Antwort auf Gottes Nähe, die immer schon größer ist, als dass der Mensch sie erfassen könnte.
Auswendig lernen oder selbst dichten
Gedichte aus dem kulturellen und religiösen Erfahrungsschatz der Menschheit kommen dann besonders zum Tragen, wenn eigene Worte versagen. Angehörige und Seelsorgende berichten oftmals eindrücklich, wie Texte, die von Kindheit an im Gedächtnis haften geblieben sind, Menschen bis zum Tod begleiten. Entgegen den Vereindeutigungstendenzen unserer Zeit helfen Gedichte, das Nicht-Verstehen und das Schweigen – mitten im Leben und an dessen Rändern – auszuhalten. Als Sprachereignisse sind sie spirituellem Erleben und existenziellen Fragen auf der Spur und befähigen Menschen auf diese Weise auch zu eigener Sprache.
Gedichte wie dasjenige der jungen Dichterin Sophie Thomas zeugen von einer Kreativität, die in ihrer Mehrdeutigkeit und Brüchigkeit bisherige Vorstellungen vom Leben und Leisten, vom eigenen Werden und Vergehen zu revidieren vermag und sich für Unerwartetes öffnet.
* »Umbau«, der erste Gedichtband von Sophie Thomas, kann unter
Bildlegende: Franziska Pilgram im Labyrinth des Château de Cormatin (Frankreich), August 2019. © Sebastian Pilgram
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