In diversen Städten Europas wird dieses Jahr der 200. Geburtstag Richard Wagners gefeiert. So auch in Zürich. Elmar Weingarten, Geschäftsführer der Festspiele Zürich, kennt die Geschichte des genialen wie umstrittenen Komponisten ebenso gut wie die Ränkespiele der Familie Wagner. Ein Gespräch über das »Treibhaus Wagner«.
Felix Ghezzi: Erinnern Sie sich noch daran, wann Sie zum ersten Mal ein Werk von Wagner gehört haben?
Elmar Weingarten: Das war der »Tannhäuser« im Opernhaus in Nürnberg; ich war 12 Jahre alt. Es hat einen wirklich ganz tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass mich die Sängerin der Elisabeth mit »Dich teure Halle …« musikalisch begeisterte, und wie mich besonders Tannhäusers Satz »Da ekelte mich der holde Sang« aus der »Rom-Erzählung« beschäftigte. Ich mochte damals schon nicht – weil ich von den Eltern gelegentlich in katholische Kirchen entführt worden bin – dieses Kirchenlied-Gegröle.
FG: Worin besteht die Faszination und Wirkung von Wagners Musik?
EW: Ich glaube, es ist diese un-verstellte Leidenschaftlichkeit der Musik. Sie überwältigt einen immer wieder und sie hat in gewissen Momenten gar etwas Schamloses. Wagner war ein -unglaublicher, ein raffinierter Menschenfänger, der die Menschen in ihren Emotionen packte – und das tut er auch heute noch, und das wird auch in Zukunft noch andauern.
FG: Sie haben sich 1999 zusammen mit Nike Wagner erfolglos für die Nachfolge von Wolfgang Wagner beworben. Was hat sie an der Leitung der Bayreuther Festspiele gereizt?
EW: Nike Wagner.
FG: Nike Wagner hat sich zusammen mit Gérard Mortier 2008 nochmals vergeblich um die Festspielleitung beworben. Seither sind in Bayreuth Katharina Wagner und Eva Wagner--Pasquier am Ruder. Was hätte für das erste Team gesprochen?
EW: Die beiden wären meiner Ansicht nach das richtige Team gewesen, weil beide sehr intelligente Menschen sind, die genau wissen, was war und was für die Zukunft richtig wäre. Sie wissen genau Bescheid über Wagner und haben begriffen, was -Wagner uns heute noch bedeuten könnte. Sie kennen vorzüglich die Rezeptionsgeschichte und die der Interpretation und der szenischen Varianten seiner Werke. Sie wären beide sehr gut gewesen für die Entwicklung von neuen Perspektiven. Die fahrlässige Beliebigkeit und Gedankenarmut der beiden Schwestern, die auch bei Wolfgang Wagner schon angefangen hat – er war am Schluss verzweifelt auf der Suche nach neuen, möglichst hippen Regisseuren –, die wäre bei Nike Wagner und Gé-rard Mortier nicht zu befürchten gewesen.
FG: Es erscheint nun ein Buch über den Schweizer Zweig Richard Wagners. Franz Wilhelm Beidler, der erste Enkel Richard Wagners, hat 1947 ein Konzept für die Bayreuther Festspiele vorgelegt. Unter anderem wollte er die Familie entmachten, eine Stiftung gründen und zeitgenössische Musik inte-grieren. Haben Sie Herrn Beidler persönlich kennengelernt?
EW: Nein. Aber ich habe natürlich von ihm gehört, als ich mich mit Nike damals beworben habe. Ich habe in diesem Zusammenhang die Familiengeschichte mir vergegenwärtigt und feststellen müssen, dass da einer in der Schweiz gelebt hat, der als erster Enkel des ersten Kindes Richard Wagners zur Familie Wagner gehörte und als Leiter der Festspiele zumindest theoretisch, wenn man dynastisch denkt, in Frage gekommen wäre.
Dabei habe ich auch erfahren, wie Beidler nach dem Krieg wieder versucht hat, sich in Bayreuth in Position zu bringen, was ihm von den andern Nachkommen gründlich verwehrt worden ist. Selbstverständlich habe ich damals auch seine Ideen zu den Festspielen kennengelernt. Aber Nike Wagner, die Beidler in ihren Aufsätzen nicht verschwiegen hat, und ich, wir haben nie über ihn gesprochen. Wir waren damals so beschäftigt damit, was aus den Bayreuther Festspielen werden sollte, dass das nicht zu einem Thema geworden ist. Ich kenne jedoch seine Situation und kann es gut nachvollziehen, dass es ihn verletzt hat, dass er nicht anerkannter Teil der Familie war. Ich fand deshalb die Idee einer Ausstellung über ihn während der Festspiele Zürich 2013 von Anfang an gut.
FG: Die Festspiele Zürich 2013 stehen unter dem Motto »Treibhaus Wagner«. Welche Blüten erwarten Sie?
EW: Also zuerst mal ist das Faszinierende für uns, die Künstlerische Kommission, dass Wagner tatsächlich einen wesentlichen Teil seines Werkes in Zürich geschaffen hat. Er hat hier den »Ring« geschrieben, »Rheingold« und »Walküre« und ein Teil von »Siegfried« sind in der Limmatstadt entstanden. Den »Tristan« hat er hier begonnen und in Luzern zu Ende geführt. Er hat zudem sowohl seine theoretischen Schriften hier verfasst wie auch die fürchterliche, antisemitische Schrift »Das Judenthum in der Musik«. Ich finde es schon ganz interessant, sich zu fragen, wie das alles ausgerechnet hier in Zürich, der Anlauf- und Auffangstelle für viele Revolutionäre, passieren konnte. Irgendwie muss es auch mit der Stadt zusammenhängen, die damals sehr liberal und weltoffen war. Wie stark, das weiß man nicht. Es wäre schön, wenn die Festspiele hier die eine oder andere Antwort geben könnten.
Dr. Elmar Weingarten, 1942 in Gleiwitz, Oberschlesien, geboren, ist seit August 2007 Intendant der Tonhalle-Gesellschaft Zürich und Geschäftsführer der Festspiele Zürich – 2013 zum Thema »Treibhaus Wagner«. Zuvor war er unter anderem Intendant des Radio Symphonie-Orchesters Berlin, der Berliner- Philharmoniker und Hauptgeschäftsführer des Ensemble Modern.
Bildlegende: links: Dr. Elmar Weingarten. © Tom Haller; rechts: Isolde, Franz Wilhelm und Franz Philipp Beidler um 1906 in Colmdorf, im Hintergrund Bild Richard Wagners. @ Dagny Beidler, Privatbesitz, Fotomontage: Peter Hunkeler
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