Wie jeder gute Autor, so verspürt auch ein Übersetzer die reine Freude am Wort. Dieter Rister erzählt, was ihn an seinem Beruf fasziniert und wie sein Alltag aussieht.
Im fernen Wales erreicht mich die Anfrage, ob ich eine »hochkomplexe Übersetzung« übernehmen möchte. Genauer gesagt, handelt es sich um ein Buch mit dem Titel Das Modell des konsequenten Humanismus von Hans Widmer, das ins Englische übertragen werden soll. Mein lieber Schwan!
Wenn ich trotzdem zusage, so liegt das an meiner Herkunft und an meinem Alter. Ich stamme aus Köln, und ein Artikel des dortigen Grundgesetzes lautet, das noch immer alles gut gegangen ist. Und ich bin in einer Zeit geboren, in der die Wortschöpfungskunst etwa Thomas Manns und später während des Studiums auch so mancher Juristen mir die Liebe zur deutschen Sprache eingepflanzt hat. Diese innige Verbundenheit ist es, die den Übersetzer durch die oft sehr langen Arbeitstage trägt. Die Sprache ist sein Freund. Er muss einfach staunen und bewundern können, dass es eine so wunderbare Wendung wie »Anschauungen a priori« (Kant) gibt, die Widmer aufgreift. Ich meine die reine Freude am Wort, dessen Tiefe einem erst dann so richtig bewusst wird (»Bewusstsein« ist übrigens auch so ein Begriff in dem Buch), wenn seine Bedeutung in einer anderen Sprache vermittelt werden soll.
Das Klischee besagt natürlich, dass der Übersetzer dann am Bleistift kaut, tagelang grübelt und irgendwann auch versucht ist, ein Tintenfass an die Wand zu schleudern. In der Praxis sieht es etwas anders aus. Sofern man nicht gerade damit vertraut ist, wie die Rezeption des deutschen Idealismus in der englischen Sprache verlaufen ist, folgen rein handwerklich zunächst Recherchen im Internet. Diese lassen wie üblich schnell erkennen, dass sich viele Quellen nur gegenseitig zitieren. Ich stöbere in der 13. und der 15. Auflage der Encyclopedia Britannica in meinem Bücherregal, doch die gelehrten Verfasser der einschlägigen Beiträge sind mehr damit beschäftigt, sich gegenseitig herabzusetzen. Das ist sehr interessant und amüsant, verführt allerdings dazu, sich festzulesen. Irgendwann muss man sich zur Ordnung rufen und zur Ausgangsfrage zurückkehren. Also gut, für »Anschauungen« hat sich offensichtlich der Begriff »intuition« durchgesetzt. Keiner der Autoren scheint so recht glücklich damit zu sein, und ich bin es auch nicht, aber es muss halt auch weitergehen.
Zugegeben, dies klingt ein wenig zu rosarot. In der Regel geht es nämlich eher um den Eierschalensollbruchstellenverursacher (eigentlich auch kein übler Terminus, der im Konsequenten Humanismus allerdings nicht vorkommt), d. h. der Alltag verlangt vierzehn Stunden lang Akribie und Erbsenzählerei. Der Termindruck ist gewaltig, ich arbeite jeden Tag, ob Wochenende oder Feiertag, oftmals auch in der Nacht. Deshalb ist die zweite Grundvoraussetzung für einen freiberuflichen Übersetzer, zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Zwei- oder Drei-Stunden-Schlaf einlegen zu können, sobald sich die Gelegenheit bietet. Dabei hilft, dass ich keine Webcam besitze und ich je nach Lust und Laune den ganzen Tag im Schlafanzug am Computer arbeiten kann.
Ich werde dafür mehr als nur entschädigt durch die Umgebung, in der ich werkle. Meine Frau und ich leben in einer einsamen idyllischen Landschaft, in der ein Rosamunde-Pilcher-Film gedreht werden könnte. Von meinem Büro schaue ich auf eine sanfte grüne Hügellandschaft, vor mir auf der Weide grasen Schafe und Kühe, und morgens kommt auf seiner täglichen Runde ein Hermelin vorbei.
Es ist allerdings auch eine technologische Diaspora. Internet und Computer sind die Nabelschnur, an der wir hängen. IT-Fachleute, die umgehend zur Stelle sind, wenn die Technik zickt, gibt es nicht. So wird man ein bisschen auch zum Hacker – und zum Helfer aller älteren Damen im Tal, denen bei einem Update mal wieder die E-Mails abhandengekommen sind.
Wenn alles überhandnimmt, kann ich mir immer noch den aus den 50er-Jahren stammenden Film »Drillinge an Bord« mit Heinz Erhardt ansehen, der in unserem Hause Kult ist und jedem Besucher aufgezwungen wird. Einer der Drillinge ist Werbetexter, der zum Beispiel für eine Seife der Marke Charming Boy den Spruch »Wäscht Du Dich mit Charming Boy, sind Dir alle Mädchen treu« verzapft und jeden zweiten Satz mit »und dergleichen« beendet. Was das alles mit einem Einsichten-Artikel zur Tätigkeit des Übersetzers zu tun hat?
Erstens gibt es erstaunlich viele Kunden, die voller Stolz Marketingtexte mit Wortspielen verschiedenster Güte (auch auf Charming-Boy-Niveau) in zehn Sprachen übersetzen lassen wollen und die ernsthaft gekränkt sind, wenn man ihnen sagen muss, dass ihr Genie im Deutschen verpufft.
Zweitens aber versuche ich dann am nächsten Tag, bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein »und dergleichen« unterzubringen, sozusagen als Signatur. Meine Frau findet das zwar kindisch, aber für mich sind es eben die kleinen Freuden des Lebens. In diesem Sinne ein kleiner Tipp: Wer im Amtsblatt der Europäischen Union bei den Schlussanträgen des Gerichtshofs oder auch oben im Titel dieses Beitrags nachschaut, mag hie und da fündig werden. So, jetzt kennt der Leser die wahren Herausforderungen des Übersetzens, und Hans Widmer kann aufatmen, denn obwohl er offenkundig ein Charming Boy ist, taucht dieser Begriff und dergleichen im Konsequenten Humanismus bestimmt nicht auf!
Dieter Rister studied law and philosophy in his home city Cologne (Germany). In 1984 he moved to the UK to practice law in a firm of solicitors near London and, since 1988, works as a freelance translator for national and European institutions at the highest level. He lives with his beloved wife in a remote farmhouse in Wales.
Bildnachweis: Privatbesitz Dieter Rister
rüffer & rub Sachbuchverlag GmbH | Alderstrasse 21 | CH-8008 Zürich | +41 (0)44 381 77 30 |