Wer sich einen Wunsch in der Phantasie erfüllen kann, der fühlt sich wohl für eine Weile. Das Traumbild tröstet und ist ein kleines Glück. Doch dem, der praktisch denkt, dem hilft kein Wunsch, der nur zum Träumen und nicht zur Tat anregt.
Wellness, Wohlsein, gute Laune. So tönt, so klingt es in Frauen-, Familien-, Fernsehmagazinen. Den Winter unseres Missvergnügens muss es nicht mehr geben. Richtiger Sport und richtiges Essen verhelfen zum Glück. Das Wissen über hormonale Regulierungsprozesse scheint uns psychohygienisch weiterzubringen. Dennoch: Was helfen Vollkornbrot, Glücksdrink und Dauerlauf gegen soziale Not, Pech in der Liebe, Krankheit, Tod und Alltagsmisere? Das Unglück raubt den Schlaf, lähmt die Tatkraft, erschlägt die Hoffnung. Aber seltsam: So mutlos einer sein mag, sein Vorstellungsleben wird aktiv und verschafft sich Wirkung, von Zeit zu Zeit.
Man kennt aus der psychotherapeutischen Arbeit den Dauerverdruss und die Reizbarkeit: man kennt sie als Anhedonie, als Unfähigkeit, sich zu freuen. Die Betroffenen leben in ständiger Spannung, Unruhe und Irritation. Kleine Widrigkeiten des Alltags sind für sie Anlass zu massiver Verstimmung. Ihnen fehlt Wesentliches im Umgang mit Frustration: die Möglichkeit, sich zurückzunehmen, sich selbst zu beruhigen. Dies gelingt ihnen, wenn überhaupt, nur durch den Gebrauch sedierender und stimmungsaufhellender Substanzen – und durch den Gebrauch von Menschen, deren physische Anwesenheit als besänftigende Droge wirkt.
»In der Freude fallen Wunsch und Wirklichkeit zusammen«
Wer anhedonisch ist, dem fehlt nicht nur die Möglichkeit, das Erfreuliche zu genießen, sondern er kann auch nicht den Alltag mit Lichtpunkten auskleiden. Wer Misserfolg und Kränkung, Verlust und Enttäuschung, Kummer und Ärger psychisch meistert, der verfügt über ein hedonisches Regulativ. Er lässt es nicht zu, dass die Macht der Unlust imperial von ihm Besitz ergreift. Das ist faszinierenderweise möglich durch die Wunscherfüllung in der Phantasie. Wie preiswert dieses Mittel doch ist.
Freud entwickelte die Idee der Wunscherfüllung in der Phantasie erstmals in der »Traumdeutung« (1900). Das Gedächtnis bewahrt das erfahrene Gute wie ein Hüter und Pfleger von Schätzen und evoziert es als – oft unbewusst bleibende – Erinnerungsspur im Augenblick der Spannung und Not, und dieser mentale Ersatz für eine positive Wirklichkeit kann aktuelle Unlust vorübergehend mildern. Es handelt sich um einen kreativen Akt, denn die positive Erfahrung wird nachträglich beglänzt und verklärt. Es ist wie in der Bierwerbung. Ein durstiger Mann in der Wüste – ein schäumendes Bierglas als Fata Morgana. Kein Bier kann so herrlich schmecken wie dieses.
Diese kreative Vorstellungsarbeit hilft dem Durstigen, noch ein Weilchen auszuhalten. Das Bild vom Bier weist nicht den rechten Weg zur Wasserquelle, erlaubt aber das Warten, solange das zielführende Handeln verwehrt ist. Wer praktisch tätig ist, dem helfen wunscherfüllende Bilder nicht weiter. Im Gegenteil, hier ist es wichtig, das konkrete Ziel in aller Nüchternheit realistisch vor Augen zu haben. Wir kennen von alters her den Antagonismus von Müßiggang und Arbeitsethos, Genuss des Augenblicks und Triumph der Tatkraft.
»Den Alltag mit Lichtpunkten auskleiden«
Wie wunscherfüllende Vorstellungen als hedonisches Regulativ in uns wirksam sind, zeigt schon das Alltagswissen über Emotionen. Da gibt es solche, die den schmerzhaften Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit heftig aufreißen, und andere, die ihn nivellieren. Nur wenige Beispiele: Die Reue ist jene Qual, die uns inbrünstig wünschen lässt, man hätte anders gehandelt. Der Neid lässt uns spüren, dass wir uns heftig wünschen, an der Stelle des Beneideten zu sein. In der Scham erleben wir die Sehnsucht nach Anerkennung und sehen uns in Wirklichkeit bloßgestellt. Ganz anders die Freude: Für einen Augenblick fallen Wunsch und Wirklichkeit zusammen.
Menschen mit anhedonischen Tendenzen kennen die Trostprämie nicht. Ist der Geliebte aus den Augen, dann wird die Trennung nicht durch schöne Bilder der Erinnerung und freudvoller Künftigkeit versüßt. Weg ist weg. Finsternis bricht an. Die Fähigkeit, mit wunscherfüllenden Vorstellungen psychische Lebensqualität zu verbessern, schafft mindestens so gute Laune wie Jogging, Banane und Vollkornbrot. Sie hat aber zusätzlich den Vorteil, gute Laune auch dann zu verschaffen, wenn das Vollkornbrot ausgegangen und wenn man schlecht zu Fuß ist.
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