Von der Idee zum Buchstaben
Eine neue Schrift? Gibt es nicht bereits genug? Und: Sehen sie nicht ohnehin alle gleich aus? – Diese Fragen beantwortete einer meiner Lehrer treffend mit: »Neue Schriften entstehen aus dem gleichen Grund wie Songs, Filme und Bücher – sie sind ein Kulturgut, das sich der Zeit anpasst und von neuen Ideen und Technologien beeinflusst wird.«
Ist Ihnen aufgefallen, dass der Artikel im Magazin ein anderes Schriftbild als die restlichen Texte aufweist? Der Beitrag ist nicht in der Schrift Arnhem, sondern in Filo gesetzt, die ich ein Jahr lang an der Zürcher Hochschule der Künste entwickelt und nach einem weiteren Jahr mit dem Hamburger Schrifthersteller URW zur Familie Filo Pro ausgebaut habe. Die Schrift kann gekauft werden und beinhaltet die Schnitte Regular, Medium und Bold sowie die dazugehörigen Kursiven. Verschiedene Grafiker haben sie inzwischen für Bücher, Magazine oder Gebäudebeschriftungen verwendet.
In der Regel entwickelt der Schriftgestalter zunächst die Formen des kleinen »n« und »o«, denn sie zeigen den Charakter einer Schrift am besten, definieren die Geraden und Rundungen. Von ihnen können viele Kleinbuchstaben abgeleitet werden. Die »Mikrogestaltung« der Glyphen* begann klassisch per Hand: In 5000–10000-facher Vergrößerung habe ich die Buchstaben modelliert, um sie danach verkleinert in Lesegröße (10–12 Punkt) zu beurteilen. Als Schriftgestalterin befasste ich mich dabei nicht nur mit der Form des Buchstabens, sondern auch mit dem Weißraum um und in den Zeichen: Ich höhlte die Punzen [siehe 9] mit Tipp-Ex aus, gab in Rundungen und Geraden mit Feder oder Fineliner wieder »Fleisch« hinzu, und zwar so lange, bis ich die perfekte Form – und Gegenform – gefunden hatte. Mein Ziel war es, eine »serifenbetonte« Schrift zu gestalten, d.h. eine Schrift mit ausgeprägten »Füßchen« wie die PMN Caecilia (siehe oben) – ein allgemein schwer und konstruiert aussehender Typus. Ich wollte, dass meine Schrift ebenfalls kräftig wirkt, ihr aber eine weichere, organischere Form geben. Deshalb war das Definieren der Serifen [10] am kleinen »n« der Ausgangspunkt im Entwurfsprozess: Durch eine Kehlung am Boden [7] und die schrägen Enden der Serifen [6] wirkt Filo Pro leichter als andere vergleichbare Schriften. Die runden Übergänge und der Dick-Dünn-Kontrast [2] in der Vertikalen sind vom Duktus der Feder abgeleitet. Nach der Gestaltung der ersten Buchstaben wurden die gescannten Skizzen in einem Schriftgestaltungsprogramm, wie FontLab, nachgezeichnet, das gleich einem Setzkasten Übersicht über alle möglichen Glyphen (= »Unicode«) gibt und in dem die gewünschten gestaltet werden können.
Filo Pro ist eine gut lesbare Schriftfamilie und somit für lange Fließtexte geeignet. Aufgrund ihres kräftigen Baus und der hohen x-Höhe [11] kann sie sehr klein gesetzt werden und ist bei 3–4 Punkt noch gut lesbar. Die gute Ausrichtung der Glyphen zueinander erspart dem Gestalter viel Zeit beim manuellen Ausgleichen der Buchstaben- und Wortzwischenräume.
Besonders interessant war für mich nach der Gestaltung des Alphabets die »Kür«, denn dem Umfang einer Schrift sind kaum Grenzen gesetzt: Die Schnitte (Regular, Medium und Bold etc.) der Filo Pro umfassen je 629 Glyphen und bieten so mehr Zeichen als viele andere Schriften, so z.B. auch nicht standardmäßige Ligaturen (Verschmelzung zweier oder mehrerer Buchstaben wie fi, fl [siehe 15]), für die ich eine besondere Vorliebe hege. Auch für kritische Paare wie gu, tw, tv [15] usw., die der Typograf eigens ausgleichen muss, habe ich fixe Glyphen erstellt. Dadurch sind sie besser lesbar. Eine besondere Eigenart dieser Schrift ist die selbst erfundene »phonetische« Ligatur KÖ [16]. Diese Spielerei könnte der Stadt KÖln ein neues Erscheinungsbild geben oder der KÖnigin ein neues Antlitz. Ich habe mir viel Zeit gelassen, um für »mein Kind« den passenden Namen zu finden. Aus Liebe zur Ligatur sollte der Name mit einer solchen beginnen. Dafür eignete sich »fi« am besten; außerdem sollte er kurz und prägnant sein. Dank Fremdwörterbuch und Internetrecherche kam ich zu »Filo« – was auf Esperanto »Sohn« bedeutet. Später entwickelte ich das Wortspiel Filo-Sofie und der Namen der Schriftfamilie Filo-Sofie war geboren, zu der bald eine Tochter hinzukommen, eine serifenlose Schrift (wie z. B. die Arial), die von der Filo abgeleitet ist.
* grafische Darstellung eines Schriftzeichens
Filo Pro bei rüffer & rub
Um die Schrift Filo Pro in ihrer Lesefreundlichkeit zu erleben, empfiehlt es sich, sie über viele Seiten hinweg zu lesen. Besonders gut gelingt das z.B. mit den Büchern »Die Strahlende Wahrheit«, »demenz.« und »Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung«, die in der Filo Pro gesetzt sind.
Weitere Infos unter
→ www.urwpp.de/schriften/selectype/filo-pro
→ www.saskia-noll.de/index.php/type/z (Anwendungen, Download Specimen)
Bildnachweis: © Saskia Nobir
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