Prof. Dr. Volker H. Hoffmann (VH), Lehrstuhl für Nachhaltigkeit und Technologie der ETH Zürich, und Dr. Hans-Rudolf Zulliger (HRZ), Gründer der Stiftung Drittes Millennium, diskutierten in der Villa Hatt über Nachhaltigkeit, die Weiterentwicklung des eigenen Weltbilds und Kooperation als mögliche Strategie in der Geschäftswelt.
VH: Sie sind seit vielen Jahren ein Pionier im Bereich der Nachhaltigkeit und sowohl als Unternehmer, als Mitglied von Regierungskommissionen und als Berater für nachhaltige Investitionen tätig. Wie sind Sie zum Thema Nachhaltigkeit gekommen?
HRZ: Zuerst studierte ich Nukleartechnologie, weil ich überzeugt war, dass dies die Lösung für alle unsere Energieprobleme sein würde. Erst später wurde ich Mitgründer einer Firma für Solarenergie und begann ökologische und nachhaltige Projekte zu verwirklichen. Zuletzt gründete ich mit meiner Frau eine Stiftung, die Nachhaltigkeit fördert.
VH: Eines Ihrer Schlüsselkonzepte ist die »Weltsicht«. Soweit ich verstehe, kann die Weltsicht gesellschaftlichen Wandel sowohl ermöglichen als auch verhindern. Was genau verstehen Sie unter Weltsicht?
HRZ: Die Weltsicht ist das spezifische Verständnis eines Individuums darüber, wie die Welt funktioniert. Wir alle haben eine Weltsicht, die sich während unseres Lebens durch Aus- und Weiterbildung weiterentwickelt. Die Weltsicht entscheidet darüber, wie wir Probleme anpacken, wie wir Veränderung herbeiführen. Dabei geschieht vieles im Unterbewusstsein – die meisten Menschen können ihre Weltsicht nicht bewusst definieren.
VH: Wie kann ich auf meine Weltsicht zugreifen oder sie verändern?
HRZ: Zuerst muss man sich einem Thema ernsthaft widmen und sich informieren. Betrachten wir die Umwelt genauer, realisieren wir beispielsweise, dass wir unsere Ressourcen erschöpfen: Insgesamt bräuchten wir heute 1,7 Planeten, um den Lebensstandard aller Menschen längerfristig aufrechtzuerhalten, was viel zu hoch ist. Wir folgen einem veralteten Weltbild, das die Welt als unendliche Ressource erfasst, wie vor 200 000 Jahren. Diese Weltsicht ist vorzeitlich und nicht geeignet, um unsere Zukunft zu sichern. Als Zweites sucht man den Dialog mit anderen Menschen, um die eigenen Ideen zu erproben und eine Lösung zu finden. Interaktion und Zusammenarbeit ist wichtig. Genauso wichtig ist reflektieren: in sich zu gehen und nach der Verbindung des Selbst mit der äußeren Welt zu suchen. Dies ist ein lebenslanger Prozess. Es ist schwierig, diesen zu beschleunigen, aber ich glaube, dass die Menschheit alle Werkzeuge und alles Wissen besitzt, um etwas zu verändern. Es liegt an uns, den passenden Weg zu wählen.
VH: Was wäre denn eine für die heutige Situation angemessene Weltsicht?
HRZ: Wenn man die Evolution betrachtet, ist alles Leben miteinander verbunden. Die Welt ist wie ein einziges Organ, alle Prozesse sind miteinander verbunden. Mit einer solchen Weltsicht kann ich mich nicht länger auf die persönliche Optimierung meines Lebens und meines Besitzes konzentrieren. Ich muss den Darwin’schen Gedanken des »survival of the fittest« ablegen und realisiere, dass Kooperation und Zusammenarbeit wichtiger ist.
VH: Ich frage mich, ob eine solche Weltsicht auf die Firmenwelt übertragen werden kann. Das ökonomische System zielt nicht gerade auf Kooperation – wenn eine Firma ihr Weltbild verändert, muss sie vielleicht um Profite und damit um die eigene Existenz fürchten. Wie stellt man sicher, dass Firmen das Risiko eingehen, eine neue Weltsicht zu entwickeln?
HRZ: Als ich Werte wie Nachhaltigkeit in meiner eigenen Firma einführte, fürchtete ich den Einbruch von Profit und dass meine Mitarbeiter mich für verrückt halten. Nach einer Weile aber realisierte ich, dass sie sehr interessiert waren an dieser Entwicklung: Die Identifizierung mit der Firma und ihren Werten wuchs. Wenn man nicht nur auf Profite achtet, sondern hochwertige und sinnvolle Arbeit verrichtet, dann bringt diese Motivation eine Firma viel weiter als der Fokus auf Profit.
VH: Was bedeutet dies für die Rolle des Managers? Verändert sich diese im Hinblick auf neue Weltsichten?
HRZ: Der Manager oder die Managerin muss die eigene Weltsicht ebenfalls verändern. Er oder sie dient nicht nur der Firma und ihren Angestellten, sondern auch der Gesellschaft. Anstatt einem egoistischen Selbstbild zu folgen, der Größte, Erfolgreichste oder Klügste sein zu wollen, muss der Manager sich mit seiner Umwelt verbünden und bedeutungsvolle Beziehungen aufbauen. Das ist nicht einfach, wenn man als Einzelkämpfer angesehen und bewundert wird. Wenn man das eigene Ego aber transzendieren kann, ist man deutlich mächtiger und effektiver in der neuen Rolle. Meine Erfahrung ist also, dass die Orientierung an neuen Weltbildern gerade auch in der Wirtschaft sehr lohnenswert und bereichernd sein kann.
Bildlegende: Prof. Dr. Volker H. Hoffmann und Dr. Hans-Rudolf Zulliger im Gespräch. © Jeanine Reutemann
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