Die Autorin Dagmar Schifferli verfasste mit »Wegen Wersai« den ersten Roman für das Programm rüffer & rub literatur. Im Gespräch gibt sie Einblick in ihre Recherchearbeit, den Schreibprozess und die authentische Entwicklung der Figuren.
Vera Thomann: Dein Roman spielt in den 1960er-Jahren und enthält sowohl historische Informationen und reale Orte in der Schweiz als auch individuelle Erlebnisse der einzelnen Personen. Wie bist du beim Schreiben konkret vorgegangen?
Dagmar Schifferli: Mit ausgiebigen Recherchen in Archiven, Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, im Internet sowie mittels Dokumentarfilmen versuchte ich, mir die damaligen Ereignisse und gesellschaftlichen Umstände möglichst differenziert anzueignen, um sie anschließend literarisch zu verarbeiten. Selbstverständlich habe ich die Orte, an denen sich die Protagonistin aufhielt, besucht und erkundet.
VT: Welche Umgebung ist ideal, um in eine »Schreibstimmung« zu kommen?
DS: Wenn ich an einem Roman schreibe, befinde ich mich eigentlich immer in einer Schreibstimmung. Der Text begleitet mich, Formulierungen fallen mir unvermittelt zu, Ideen tauchen auf, wenn ich unterwegs bin, beim Einkaufen, auf dem Fahrrad. Die ideale Umgebung zum Schreiben ist jedoch mein Schreibatelier am Fluss. Hier finde ich die nötige Ruhe, um die Gedanken zu ordnen und den weiteren Verlauf des Romans zu konkretisieren. VT: Weißt du am Anfang des Schreibprozesses schon, wie der Roman ausgehen wird? DS: Nein, nicht einmal bei meinen historischen Romanen »Anna Pestalozzi-Schulthess« und »Wiborada«, die ja mit dem Tod der Protagonistinnen enden. Aber wie genau, das ergab sich auch bei diesen Büchern erst gegen den Schluss des Textes. Bei meinem neuesten Roman »Wegen Wersai« hatte ich gewissermaßen nur den Zipfel einer Geschichte, verspürte aber eine große Lust, einen überzeugenden Roman daraus zu machen. Erste Ideen stellten sich ein, Personen, historische Umstände. Dabei half mir sicherlich meine langjährige Erfahrung als Schriftstellerin. »Wegen Wersai« ist mein fünftes literarisches Werk. Dazu kommen zwei Bände Briefeditionen.
VT: Die Hauptfigur des Romans ist ein zwölfjähriges Mädchen. Wie ist es dir gelungen, so konsequent aus der Perspektive des Kindes zu schreiben?
DS: Das muss, ich bitte um Verständnis, mein Geheimnis bleiben. Die zwölfjährige Katharina hatte ich jedoch von Anfang an in mir, allerdings ohne sie je gewesen zu sein.
VT: Welches war für dich als Autorin die schwierigste Figur? Musst du alle Figuren mögen, damit du über sie schreiben kannst?
DS: Das Wichtigste ist, dass ich sie so authentisch entwickle, als wäre ich ihnen im realen Leben begegnet. Mit all ihren Widersprüchen, unangenehmen Verhaltensweisen, liebevollen Charakterzügen. Sie müssen eine interessante Persönlichkeit aufweisen, eine, mit der ich mich gern auseinandersetze. Als besonders schwierig in der Darstellung empfand ich keine der Personen. Am nächsten war mir, das ergibt sich aus der Ich-Perspektive, in der der Roman geschrieben ist, das Mädchen Katharina.
VT: Welche literarischen »Tricks« hast du benutzt, damit deine Figuren lebendig wirken?
DS: Ich hätte den Roman innerhalb eines Monats geschrieben, wenn ich irgendwelche »Tricks« kennen würde. Nein, ich kenne keine, und es gibt wohl auch keine. Das Schreiben eines Romans ist harte Arbeit, bei der ich einen Text unzählige Male überarbeite, auch laut lese, um zu prüfen, ob der Rhythmus stimmt, die Atmosphäre, die Wortwahl, die Anschlüsse zwischen den einzelnen Abschnitten und Kapiteln und vieles mehr.
VT: Für wen, denkst du, könnte »Wegen Wersai« von besonderem Interesse sein?
DS: In bisherigen Gesprächen über den Roman machte ich die Erfahrung, dass sich sowohl ältere als auch jüngere Menschen davon ansprechen lassen. Die Älteren, weil sie sich an vieles erinnern, was sie damals selbst erlebt haben. Die Expo 64, die Katastrophe von Mattmark – dies zumindest über die Berichterstattung in den Medien – die »Schwarzenbach-Initiative« und viele weitere Ereignisse, die im Roman eine Rolle spielen. Bei den Jüngeren fand ich ein Interesse vor, weil sie spürten, dass diese Themen für die Schweiz noch immer von Bedeutung sind, sie aber nur wenig darüber wissen und bestrebt sind, diese Lücke zu füllen.
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