Hand aufs Herz, haben Sie heute Ihr Frühstücksbrot restlos aufgegessen? Oder blieb ein Stück davon übrig, weil Sie in Eile waren und vor der Arbeit die Kinder zur Schule bringen mussten? Natürlich haben Sie das angebissene Brot nicht weggeworfen, sondern zurückgelegt, um es am Abend zu verspeisen – oder?
Wie auch immer Ihre Antwort ausfällt – keine Sorge, wir wollen nicht kleine oder große Sünden anprangern, sondern Sie informieren und inspirieren: Was geschieht entlang der Wertschöpfungskette unserer Nahrungsmittel? Wieso gelangen 60 % des Brotweizens nie auf unseren Teller? Warum wird in unseren Supermärkten nur makelloses Gemüse angeboten? Weshalb bleiben für jede verkaufte Karotte zwei weitere beim Produzenten zurück, obwohl sie qualitativ einwandfrei sind? Was geschieht nach Ladenschluss in unserer Lieblingsbäckerei? Was lässt sich tun, damit die Legehennen, deren Eier wir schätzen, nicht allesamt in der Kehrichtverbrennung landen?
Wir werfen neugierige Blicke in fremde Teller und Mülltonnen, in der Schweiz, in Europa und in anderen Kontinenten. Wir sammeln clevere Ideen und stellen Menschen vor, denen Food Waste nicht egal ist. Ein vielschichtiges Thema; die Herausforderungen sind enorm, doch sie können gemeistert werden.
Äss-Bar. Die Äss-Bar bietet unter dem Motto »Frisch von gestern« in 5 Schweizer Städten Backwaren an, die durch ihre Partner – Bäckereien der Deutsch- und Westschweiz – geliefert wurden: Brote, Gebäck, Patisserie, Torten, Sandwiches und Salzgebäck sind hier zu stark vergünstigten Preisen erhältlich.1
WEF gegen Food Waste. Anlässlich des World Economic Forum in Davos 2017 stellte die brasilianische Non-Profit-Organisation Gastromotiva an zentraler Lage einen großen Kochtopf auf und bereitete aus Lebensmitteln, die während des Forumsgipfels weggeworfen worden wären, Schmorgerichte zu.2
Bier aus Brot. Der Verein »United Against Waste« umfasst große Firmen der Lebensmittelbranche und setzt sich zum Ziel, Nahrungsverschwendung einzudämmen. Der Verein stellte Anfang 2017 ein »Bread Beer« vor, bei dem aus Krumen unverkauften Brots, frischem Quellwasser, Hefe, Hopfen und Gerstenmalz Bier hergestellt wird. Pro 100 l Bier werden rund 8 kg Brot verarbeitet.3
Partnervermittlung für Bananen. Dänemark ist in Europa führend im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung und konnte den Food Waste innerhalb von 5 Jahren um 25 % senken. Vor allem eine Frau, Selina Juul, sorgte mit originellen Ideen für Aufsehen. So regte sie an, dass einzelne Bananen, die im Supermarkt Rema 1000 im Müll gelandet wären, unter dem Motto »Nimm mich, ich bin Single« zu reduziertem Preis angeboten werden.4
Gartengold. Äpfel von Hochstammbäumen, vor allem in privaten Gärten, werden oft nicht genutzt. Bei Gartengold GmbH ernten Menschen mit Beeinträchtigungen Äpfel, oft auch alte und seltene Sorten. Die aufwändige Arbeit bietet Menschen mit Handicap eine fair bezahlte Arbeit, und der so gewonnene Apfelsaft aus regionalem Anbau erfreut sich reger Nachfrage.5
Tischlein deck dich. Der Schweizer Verein »Tischlein deck dich« entstand 1999 als Initiative aus der Wirtschaft. Die konfessionell und politisch unabhängige Organisation verfügt mittlerweile über 120 Abgabestellen und versorgt fast 20 000 Menschen in Not mit Lebensmitteln. Über 800 Produktspender aus der Landwirtschaft, dem Großhandel und der Industrie tragen zum anhaltenden Erfolg bei.6
Foodsharing. Die 2012 in Deutschland gegründete Organisation ist auch in der Schweiz tätig. Mit Freiwilligen holt die Organisation Lebensmittel legal von Betrieben ab, die dort entsorgt würden, und verteilt diese kostenlos. »Foodsharing« ergänzt damit örtliche Tafeln. Über eine App und ein Internetportal sehen die »Foodsharer« laufend, wo welche Lebensmittel abgegeben werden.7
Salat-Revival. Die Haltbarkeit des frischen Grüns kann verlängert werden, wenn der gewaschene Salat mit einem Stück Küchenpapier in einem luftdichten Plastikbehälter aufbewahrt wird. Welker Salat oder älteres, ausgetrocknetes Gemüse (z.B. Karotten oder Radieschen) können wiederbelebt werden, indem man sie für eine Stunde ins Wasser einlegt.8
Suppenhühner verwerten. Hühner, die für die Eierproduktion gezüchtet werden, leben selten länger als ein Jahr, danach sinkt die Legeleistung und steigt die Krankheitsgefahr. Da sie wenig Fleisch ansetzen, wandern die meisten geschlachteten Hühner in die Kehrichtverbrennung. Dabei ist Suppenhuhn – mit Brot vom Vortag gefüllt und rund drei Stunden lang bei 150°C geschmort – würzig und zart.9
Unverzichtbare Suppen. Wenn es darum geht, Lebensmittel zu verwerten, ist Suppe unschlagbar. Was noch im Kühlschrank ist, in einen Topf schmeißen, kochen, pürieren, salzen und Freunde zum Znacht einladen.9
Kartoffeln. Von drei geernteten Kartoffeln wird nur eine gegessen. Der Rest der Ernte dieses hochwertigen und gesunden Lebensmittels geht entlang der Wertschöpfungskette für den menschlichen Verzehr verloren, wird als Tierfuttermittel verwendet oder als Biogas oder Brennstoff genutzt.10
Cleverer Campus. Die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in Brugg-Windisch verkauft jeweils ab 15 Uhr die (sehr appetitlichen) Reste der Mittagsmenüs. Damit leistet das von der SV Group Schweiz betriebene, öffentlich zugängliche Campus-Restaurant einen aktiven Beitrag gegen Food Waste.11
Die »Hässlichen«. Aus Frankreich stammt die Idee der »gueules cassées«, die mittlerweile auch in Deutschland, Japan und den USA Einzug gehalten hat. Ein breit lachendes, komisch schiefes »Tomatengesicht«, eben die »gueule cassée«, symbolisiert qualitativ einwandfreies Gemüse, das kleine optische Mängel hat und zu einem 30 % tieferen Preis verkauft wird.12
Sündenfall Brotweizen. In der Schweiz geht rund die Hälfte der Brotweizenproduktion auf dem Weg vom Feld bis auf den Teller verloren, der größte Teil dieser Verluste wäre vermeidbar (2015 wurden in der Schweiz 50 000 Tonnen Brotweizen zu Tierfutter deklassiert). Vor allem die Verarbeitung und die Haushalte spielen eine wichtige Rolle, da allein auf diesen beiden Stufen zusammen rund ein Drittel des zur Verfügung stehenden Brotweizens verloren geht.10
Käseleben verlängern. Verlängern Sie die Lebensdauer von verpacktem Hartkäse, indem Sie ihn aus der Plastikfolie befreien und locker in Backpapier einwickeln. So »schwitzt« der Käse nicht und bleibt im Kühlschrank viel länger frisch.13
Anmerkungen
1 www.aess-bar.ch
2 www.gastromotiva.org
3 www.blick.ch/news/wirtschaft/food-waste-bier-aus-brotresten-im-kampf-gegen-lebensmittelabfall-id6520038.html.
4 www.bento.de/nachhaltigkeit/daenemark-selina-juul-kaempft-gegen-essenverschwendung-1239057/#refsponi
5 www.gartengold.ch
6 www.tischlein.ch
7 www.foodsharingschweiz.ch
8 www.foodwaste.ch
9 Restaurant Frau Gerold, Zürich (Wochen »Rübis und Stübis« 2017), www.fraugerold.ch/schlaugeniessen
10 WWF Schweiz 2014
11 http://web.fhnw.ch/plattformen/blogs/wirtschaft/2017/01/16/campus-restaurant-brugg-windisch-engagiert-sich-gegen-food-waste
12 www.zugut-zumwegwerfen.de
13 Claudia Graf-Grossmann
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