Freiwillige Engagements sind in unserer Gesellschaft unterschiedlich sichtbar. Dies haben wir zum einen während der Erarbeitung des Buches »Freiwillig aktiv Bern« erfahren. Zum anderen ist uns dieser Umstand aus der Begleitung eines Jugendlichen bekannt, der aus Afghanistan geflüchtet ist.
Bei der Begleitung von Ali Nuri (Name geändert), der seit 2015 in der Schweiz lebt, haben wir die Chancen und Grenzen der Freiwilligenarbeit selbst erlebt. Das Zusammenleben und somit das Teilen des Alltags mit dem Jugendlichen war eine bereichernde Aufgabe, die uns aber auch forderte. Einfachere Fragen wie zum Beispiel: »Was kommt beim gemeinsamen Essen auf den Tisch?«, standen neben komplexeren wie: »Wie können die Gebühren für das Karatetraining bezahlt sowie ein Kimono beschafft werden, um den Wunsch Alis zu verwirklichen?« Bei der Freiwilligenarbeit wird unterschieden zwischen Engagements in Vereinen und Organisationen sowie freiwilligen Tätigkeiten, die außerhalb von vorgegebenen Strukturen aus privater Initiative entstehen. Erstere nennt man institutionelle Freiwilligenarbeit, während man die Zweite als informelle Freiwilligenarbeit bezeichnet.
Da informell freiwillige Tätigkeiten nicht durch Organisationsstrukturen geregelt werden, können sie individuell ausgestaltet werden. Der Vorteil ist, dass die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt und kurzfristige Änderungen flexibel gehandhabt werden können. So war es Ali bei der Möblierung seines Zimmers wichtig, den vom Sozialamt vorgesehenen Betrag nach seinen Wünschen einzusetzen. Neben gebrauchten Möbeln fand deshalb eine neu erworbene Deckenlampe Eingang in sein Zimmer.
Im Gegensatz zu institutionellen gibt es bei informellen Engagements keine Vorgaben zu Dauer und Verbindlichkeit. Wie lange Ali das Wohnangebot in Anspruch nehmen würde, war nicht festgelegt. Nach zwei Jahren äußerte er schließlich den Wunsch auszuziehen.
Informell freiwillige Engagements bewegen sich oft im Bereich der Care-Arbeit, in der soziale und oft auch familiäre Beziehungen eine große Rolle spielen. Neben Chancen bergen solche Engagements auch Herausforderungen: So müssen Abmachungen und Erwartungen zwischen den Beteiligten im Alleingang geklärt und die Verantwortung für die Qualität der geleisteten Freiwilligenarbeit selbst getragen werden. Beim Zusammenwohnen mit Ali musste anfangs vieles geklärt werden: Vom Putzplan über finanzielle Aufwendungen für die Wohnung bis zu gemeinsamen Aktivitäten. Dies sind Themen, die in jeder Wohngemeinschaft ausgehandelt werden. Die Unterschiede bei uns bezüglich Alter, beruflichem Hintergrund, finanzieller Situation, Kultur und Sprache hätten aber kaum größer sein können. Dennoch gelang es uns meist, die verschiedenen Vorstellungen offen zu besprechen und zu klären.
Informell freiwillig engagierte Menschen haben keine Organisation im Rücken, an die sie sich bei Fragen wenden können. Da wir bisher vor allem Erfahrungen in der institutionellen Freiwilligenarbeit gesammelt hatten, wurden uns die Unterschiede zwischen diesen beiden Ausprägungen der Freiwilligenarbeit erst im Verlauf unseres Engagements bewusst. Nicht selten hätten wir uns, zum Beispiel bei Fragen im Zusammenhang mit dem laufenden Asylverfahren oder den Ausbildungsmöglichkeiten für Ali, eine Anlaufstelle oder einen Austausch mit anderen Freiwilligen gewünscht.
Häufig sind sich Menschen, die informell freiwillig tätig sind, nicht bewusst, dass sie mit ihrem Engagement einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Sie schätzen ihr Tun meist als selbstverständlich ein. Diese Erfahrung haben wir auch bei unseren Interviewparter:innen für das Buch gemacht. Oft mussten wir bei den Befragten aktiv nachfragen, ob und welche freiwilligen Engagements sie neben den institutionellen ausüben. Wir haben schließlich Menschen gefunden, die sich in der eigenen Familie engagieren und solche, die sich um Migrant:innen kümmern:
Jeweils am Montag betreut Vally Nussbaumer ihre beiden Enkelkinder. Urs Niklaus verbringt immer mittwochs den Tag mit seinen beiden Enkelkindern. Michael Rychen schaut täglich bei seinem demenzkranken Vater vorbei [Bild oben rechts]. Sie gehen gemeinsam die Post durch, unterhalten sich bei einem Kaffee, und bei Bedarf erledigt Michael Rychen kleinere Arbeit im Haushalt.
Hussain Amini ist aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet und lebt seither bei Yvonne Guizán [Bild oben links]. Sie unterstützt den jungen Mann bei seiner sprachlichen und beruflichen Integration. Ein ähnliches Engagement zeichnet Ulrich Burri [Bild oben Mitte] aus. Er bietet dem abgewiesenen Asylsuchenden Eremias Tekle (Name geändert) aus Eritrea eine Wohngelegenheit in seinem Haus und eine Tagesstruktur.
Im Kanton Bern werden jährlich geschätzt rund 70 Millionen Stunden freiwillige Arbeit geleistet. Davon entfallen zwei Drittel auf informell freiwillige Engagements. Diese Zahlen und unser Buch zeigen sowohl, wie wichtig Freiwilligenarbeit ist, als auch, dass informelle Freiwilligenarbeit zwar beinahe schon selbstverständlich geleistet wird, aber nicht als solche angesehen werden darf.
Bildlegende: © Markus Burla
rüffer & rub Sachbuchverlag GmbH | Alderstrasse 21 | CH-8008 Zürich | +41 (0)44 381 77 30 |