Brustkrebs ist mit über 30 % Anteil die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Um den Bedarf an umfassender Gesundheitsversorgung zu decken, entwickelte sich in den 1980er-Jahren in England die Spezialisierung zur Breast Care Nurse. Im Laufe der Zeit etablierte sich das Berufsbild in Australien, Skandinavien und auch in den USA. Als die Eusoma (European Society of Mastologie) im Jahr 2000 die Qualitätsrichtlinien mit rund 100 Kriterien für zertifizierte Brustzentren entwickelte, wurde unter anderem auch das Angebot einer spezialisierten Pflege für die von Brustkrebs betroffenen Frauen integriert. Die erfahrene Breast Care Nurse und Vizepräsidentin des Schweizer BCN-Verbandes Irene Brenneisen spricht über ihre Funktion als Ratgeberin und Ansprechperson der Betroffenen.
Was gab für Sie den Ausschlag, sich als Breast Care Nurse ausbilden zu lassen?
In meiner Tätigkeit als Onkologie-Pflegefachfrau realisierte ich, dass sich die betroffenen Patientinnen in der Betreuung und Begleitung mit ihren Fragen, Ängsten und Bedürfnissen oft stark alleingelassen fühlen. Der Bedarf nach einer Ansprechperson, an die sie sich mit ihren Fragen, Sorgen und Nöten wenden und so Sicherheit und Vertrauen gewinnen können, war für mich offensichtlich. Um Menschen in solchen Situationen professionelle Unterstützung anzubieten, habe ich deshalb diverse Weiterbildungen im Coaching-Bereich absolviert. Als Onkologie-Pflegfachfrau war es naheliegend, mich auf an Brustkrebs erkrankte Patientinnen zu konzentrieren und ihnen so als dafür ausgebildete Beraterin durch diese schwierige Zeit zu helfen. Frauen mit Brustkrebs und deren Angehörigen entwickeln spezifische emotionale, informationsbezogene und psychische Bedürfnisse. Um diesen gerecht zu werden, bedarf es spezifischer Kompetenzen, die eine Breast Care Nurse mitbringt.
»Es kommt im Leben nicht darauf an, was du austeilen kannst. Es geht darum, was du einstecken kannst und ob du wieder aufstehst.« (Silke Bargemann, 42 Jahre alt)
Wie können Sie den Patientinnen konkret helfen?
Kürzlich fragte mich eine Patientin, ob sie mit ihren Kindern über ihren Brustkrebs reden solle und wenn ja, wie sie das angehen könnte. Eine solche Frage kann man nicht allgemein beantworten, sondern man muss auf die (familiären) Hintergründe eingehen. Im Gespräch erhielt die Patientin den notwendigen Raum und die Gelegenheit, um über ihre Wünsche, Bedürfnisse und Ängste offen zu sprechen. Dabei stellte sich heraus, dass sie mit ihren Kindern reden wollte, gleichzeitig befürchtete sie, diese zu überfordern. Sie hatte den Wunsch, ihre Kinder zu schützen und den Alltag weiterhin so normal wie möglich zu gestalten.
Ich konnte der Patientin versichern, dass sie mit diesen Gefühlen und dem erlebten Dilemma nicht allein ist und dass eine Krebsdiagnose wirklich die ganze Familie betrifft. Kinder spüren genau, dass plötzlich alles anders ist. Untersuchungen zeigen, dass die Belastung der Kinder ansteigt, wenn sie nicht oder nicht richtig informiert werden. Der ersehnte Schutz der Kinder durch das Verschweigen der Krankheit bewirkt bei diesen das Gegenteil. Im weiteren Verlauf der Beratung ging es darum herauszufinden, welche Unterstützung die Patientin braucht und wie sie das Gespräch mit den Kindern führen möchte. Als Ergänzung konnte ich ihr Kinderbücher zum Thema Brustkrebs mitgeben.
»Der Krebs hat mich nicht verändert. Wenn etwas mit mir passiert ist, dann höchstens, dass ich noch gelassener, souveräner und stolzer geworden bin.« (Petra England, 49 Jahre alt)
Eine andere Patientin hatte während den Therapien große Angst, ihre Selbstbestimmung und Eigenständigkeit zu verlieren, vor allem gegenüber ihrer Mutter. Diese hatte ihre Tochter im Verlaufe der Behandlung mit ihrer Überfürsorge beinahe erdrückt und ihr alles abgenommen, was sie früher selbst erledigt hatte. Die Patientin fühlte sich durch ihre Mutter mehr und mehr entmündigt und entwickelte ihr gegenüber Aggressionen.
Im Gespräch analysierten wir, was die Ursache für das Verhalten der Mutter sein könnte. Wir kamen zum Schluss, dass sich die Mutter in dieser Situation hilflos fühlt, und es gleichzeitig ihr großer Wunsch ist, für die Tochter da zu sein. Die Tochter konnte nach dem Gespräch die Motivation der Mutter nachvollziehen und sich damit aussöhnen. Sie konnte auch erkennen, dass sie während der Therapie tatsächlich auf Unterstützung Dritter angewiesen ist und Hilfe von Bekannten annehmen darf. Mit der Abgabe eines Gutscheinheftes (daraus können Gutscheine für Ausflüge, Hilfe im Haushalt oder Unterstützung mit den Kindern entnommen werden, die man gerne mit oder für die Patientin machen möchte) – das ich entworfen habe – erhielt die Patientin eine Möglichkeit, wie sie in ihrem Umfeld die gewünschte Unterstützung selbstbestimmt anfragen kann. Als die Mutter sah, dass ihre Tochter die Hilfe auch von anderen Menschen bekam, konnte sie sich ihrerseits etwas zurücknehmen. Dadurch entspannte sich die Beziehung zusätzlich.
»Gott, gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.« (Brigitte Pfister, 70 Jahre alt)
Welche Rolle nehmen Sie bei der Behandlung ein?
Für die betroffenen Frauen bin ich die Ansprechperson, die sie jederzeit aufsuchen können. Während des gesamten diagnostischen und therapeutischen Prozesses biete ich ihnen Unterstützung und Beratung und beziehe dabei die körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren mit ein. Als Breast Care Nurse berate ich die Patientinnen und deren Angehörigen nicht nur rund um die Erkrankung und den Gesundungsprozess, sondern auch bei damit verbundenen Themen wie Sexualität, Körperbildveränderungen, Schönheit, Familie und viele mehr. Ich übernehme außerdem eine zentrale Rolle in der Sicherstellung der Koordination von Behandlung und Pflege. Auch nach beendeter Therapie betreue, berate und unterstütze ich die Patientinnen und bleibe Ansprechpartnerin für ihre Fragen und Anliegen.
Arbeiten Sie selbständig, oder sind Sie Teil eines Pflegeteams in einer Klinik?
Als Breast Care Nurse und Onkologie-Pflegefachfrau gehöre ich zum Kernteam des BrustZentrums. Ich arbeite im Team mit den Ärzten und anderen Onkologie-Pflegefachfrauen sowie einer zweiten Breast Care Nurse. In der Beratung und im Coaching arbeite ich selbständig; medizinische Fragen und Behandlungen erfolgen jedoch in Absprache mit den Spezialisten des interdisziplinären Teams aus Senologen, Chirurgen, Onkologen, Radiologen, plastischen Chirurgen und Psychoonkologen.
Breast Care Nurses (BCN) sind spezialisierte Pflegefachfrauen, die sich um die Informationsvermittlung, Beratung und Begleitung von Brustkrebspatientinnen kümmern. 2011 wurde in der Schweiz der Verband der Breast Care Nurses gegründet, um Aufgaben und Standards des Berufszweigs – in Zusammenarbeit mit Senologen (Brustspezialisten) und der Krebsliga – einheitlich zu definieren. Die Weiterbildung zur BCN kann in der Schweiz an der ZHAW (Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Winterthur) absolviert werden. Zu dieser Ausbildung zugelassen sind diplomierte Pflegefachpersonen im onkologischen Fachbereich, im Management oder in der Bildung sowie diplomierte Fachpersonen anderer Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Die Beratungsgespräche mit einer Breast Care Nurse werden in der ambulanten Tätigkeit über die Krankenkasse abgerechnet, im stationären Bereich sind sie Teil der Krankenhaus-Pauschale. Weiter Informationen unter: www.breastcarenurse.ch
»Die Diagnose Brustkrebs zerschlägt Altes, bringt eine gewachsene Ordnung durcheinander und beraubt uns der Illusion einer andauernden Sicherheit und lebenslangen Unversehrtheit. Hier scheint eine Kraft zu wirken, die wir in der ersten Aufregung meinen, nicht überstehen zu können; aber gerade weil sie so gewaltig ist, hat sie auch das Potenzial, eine Kraft zu werden, die sich den anstehenden Veränderungen stellt und den Wandel möglich macht.« – Teelke Beck
Irene Brenneisen, geboren 1965, ist Pflegefachfrau mit Schwerpunkt Onkologie. Sie hat sich zur Breast Care Nurse ausbilden lassen; seit 2007 arbeitet Brenneisen im Brust-Zentrum Zürich und begleitet Frauen mit Brustkrebs. Zusammen mit der Gynäkologin und Brustchirurgin Dr. Teelke Beck, Ärztin am Brust-Zentrum Zürich, hat sie ihre Erfahrungen zusammengetragen. Entstanden ist das erste Buch über die Zeit nach der Therapie, das mit Interviews betroffener Frauen und verschiedenen Essays einfühlsam Wege »nach Brustkrebs« aufzeichnet.
Bildnachweis: © Felix Eidenbenz
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