Mit zunehmender Häufigkeit treffen bislang eher ungewohnte Bitten aus den Heimatredaktionen in Deutschland bei mir im südafrikanischen Johannesburg ein. Ich solle mal »etwas Positives« schreiben, heißt es dann etwa: Geschichten, die dem Trend zum »konstruktiven Journalismus« entsprächen. Einem Afrika-Korrespondenten müssen solche Aufforderungen besonders fremd vorkommen: Schließlich war mein Berichterstattungsgebiet immer als einzigartiges Reservoir für schaurige Geschichten über Kriege, Seuchen oder Hungersnöte genauso begehrt wie berüchtigt. Gott sei Dank geht es uns nicht so dreckig wie denen da unten, lautete die heimliche Botschaft der unheimlich traurigen Texte. Nun scheint der Bedarf an solchen Geschichten plötzlich gestillt zu sein – sei es, weil Europa inzwischen selbst genügend Schauriges hervorbringt, oder weil man dem Nachbarkontinent tatsächlich ein neues Image gönnt. Gegen den Trend ist grundsätzlich nichts einzuwenden: Wer würde nicht lieber über grüne Auen statt über von der Hitze versengte Wüsten oder über von Bomben zerfurchte Schlachtfelder schreiben? Das Problem ist nur: Wo findet man die schönen Themen, wenn man sie nicht erfinden will? Denn ganz unabhängig von den veränderten europäischen Befindlichkeiten ist Afrika nach wie vor ein äußerst raues Terrain – und keineswegs im Begriff, zum immergrünen Heidiland unserer Träume zu werden.
In diesem Dilemma lief mir Tony Rinaudo wie ein Geschenk des Himmels über den Weg. Nicht nur, dass der 60-jährige Australier einer der angenehmsten Menschen ist, die mir in meiner weit über 20-jährigen Korrespondententätigkeit begegnet sind. Der Agrar-Missionar hat außerdem eine Botschaft, die Afrika aus einer seiner schlimmsten Zwangslagen zu befreien verspricht: der zunehmenden Verwahrlosung seiner landwirtschaftlichen Nutzflächen. Von seiner Missionsgesellschaft 1980 in Nigers Sahelzone geschickt, pflanzte Rinaudo jahrelang Bäume, um der Ausbreitung der Sahara Einhalt zu gebieten: Doch die sengende Hitze, der Wind und die Dürre wurden seinen Setzlingen immer wieder zum Verhängnis. Bei einer Autopanne fiel es dem Agronomen schließlich wie Schuppen von den Augen: Es mussten gar keine neuen Bäume gepflanzt werden, weil im Boden unter dem Sahelsand noch immer das Wurzelwerk der abgehackten Bäume schlummert. Dieser »unterirdische Wald« kann sich von ganz alleine regenerieren: Etwas Geduld, eine Gartenschere zum Beschneiden der Triebe und – wenn’s hochkommt – ein Zaun zum Schutz der Sprösslinge reichen schon aus.
Fast vier Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung wird die von Rinaudo entwickelte Methode der »Farmer Managed Natural Regeneration« (FMNR) in 26 Staaten dieser Erde angewandt – mit unbestreitbarem Erfolg. Wo wieder Bäume wachsen, kühlt die Temperatur ab, der Wind weht die Erde nicht mehr weg, das herabgefallene Laub düngt den Boden, während die Wurzeln Feuchtigkeit aus der Tiefe pumpen. Der Ertrag verdoppelt sich, die schonende Nutzung der Bäume verspricht noch zusätzlichen Gewinn, und das Schönste: Der landwirtschaftliche Paradigmenwechsel funktioniert praktisch zum Nulltarif, sowohl in der afrikanischen Sahelzone als auch im indonesischen Regenwald. Auch wenn Tony Rinaudo bei der Umsetzung seiner Entdeckung jedes Mal mit zahlreichen menschlichen, kulturellen und politischen Widerständen rechnen muss, mit denen man allein ein ganzes Buch füllen könnte: Seine Wiederbewaldungsrevolution ist eine durch und durch positive Geschichte, die verheerte Landstriche zu neuem Leben erwecken, hungrige Mägen füllen und die Klimakatastrophe bekämpfen kann.
Tony Rinaudo und »World Vision«
Die Hilfsorganisation »World Vision« ist aktuell in 98 Ländern vertreten. Das internationale »World-Vision«-Netzwerk unterstützt gemeinsam 3,2 Millionen Patenkinder. Insgesamt wurden durch Projekte im Jahr 2016 die Lebensbedingungen von 41 Millionen Kindern weltweit verbessert. Als Verantwortlicher für »World-Vision«-Projekte in Äthiopien startete Tony Rinaudo 2004 in der Humbo Region mit ersten Workshops, um seine Methode FMNR bekannt zu machen. Heute ist er Experte für Wiederaufforstung und Landwirtschaft bei »World Vision«.
Bildlegende: links: Ein Farmer im südnigrischen Dorf Tambara-Sofoua propft einem Ziziphus-Baum eine Version des »Pomme de Sahel« auf, dessen apfelähnliche Früchte süß und saftig sind. © Johannes Dieterich | rechts: Tony Rinaudo (rechts) schult Bauern beim richtigen Beschneiden der Bäume. © World Vision, Foto: E. Timor
rüffer & rub Sachbuchverlag GmbH | Alderstrasse 21 | CH-8008 Zürich | +41 (0)44 381 77 30 |